Zu den Elefanten

Da hilft auch kein Wikipedia

Der österreichische Schriftsteller Peter Karoshi hat nach zwölf Jahren mit der Novelle «Zu den Elefanten» sein zweites Buch veröffentlicht. Es wurde unter 230 nominierten Büchern für den Deutschen Buchpreis 2021 auf die Longlist mit zwanzig Titeln gewählt, der größte Erfolg des bisher weitgehend unbekannten Autors. Andreas Platthaus hat in der FAZ zur dieser Liste angemerkt: «Einzige faustdicke Überraschung ist die Nominierung von Peter Karoshis Novelle».

Der Wiener Kultur-Wissenschaftler Theo verbringt wie jedes Jahr mit seiner Frau und dem neunjährigen Sohn Moritz die Sommerferien in dem abgeschiedenen Alpendorf Sonnseit. In tagebuchartig datierten Aufzeichnungen berichtet er als Ich-Erzähler, wie er mit seinem Sohn bei einer Wanderung auf den neu angelegten «Weg des Buches» gestoßen sei. Eine Fremden-Führerin erklärt ihnen, dass früher auf diesem Weg protestantische Bücher in den katholischen Süden geschmuggelt wurden, weil sie kurz nach der Reformation dort strengstens verboten waren. Und dass auf gleichem Wege, nur in umgekehrter Richtung, der spätere Kaiser Maximilian II ebenfalls hier unterwegs gewesen sei. Er hätte es sich nämlich nicht nehmen lassen, seinen Elefanten ‹Soliman›, den ihm sein portugiesischer Onkel geschenkt hat, auf dem Weg vom Hafen in Genua bis nach Wien persönlich zu eskortieren. «Einst kam ein großer Elefant / von Süden her in unser Land. / In dieses Haus da kehrt er ein / und aß und trank viel guten Wein. / Gesättigt froh und heiter / zog er dann wieder weiter. Also geschehen anno domini 1551», so hat man später in dem nun in ‹Hotel Elefant› umbenannten Gasthof in Auer über dieses historische Ereignis auf einer Inschrift gereimt. Nach einigen Tagen kommt Theo auf die Idee, einen Teil dieser Route mit dem hellauf begeisterten Moritz in südliche Richtung zu erwandern. Dabei wollen sie alle Gasthöfe dieses Namens aufsuchen, aber auch andere historische Spuren davon aufspüren.

Selbst den Nobelpreisträger José Saramago hat dieser Stoff 2011 schon animiert, sein vorletzter Roman trägt den Titel «Die Reise des Elefanten». Anders aber als bei ihm dient das historische Ereignis bei Peter Karoshi lediglich als narratives Gerüst für seine Geschichte einer quälenden Selbstfindung, der Reise seines Protagonisten zu sich selbst. Der beruflich frustrierte Theo findet weder als Wissenschafter noch in seinem Familienleben eine Erfüllung. Er ist wie ausgelaugt, so etwas wie Lebensglück scheint ihm nicht beschieden zu sein. Stattdessen befindet er sich dauerhaft in einem seelischen Schwebezustand. Und so steht denn auch das Abenteuer mit dem Sohn unter keinem guten Stern, der Neunjährige ist schon nach der ersten Nacht mitsamt seinem Einmannzelt spurlos verschwunden. In einer odysseeartigen Suchaktion eilt der Vater ihm entlang der Elefantenroute hinterher. Dabei gerät er immer mehr in persönliche Schwierigkeiten, ein Schrecken jagt den nächsten. So erleidet er beispielsweise im Hotel «Elefant» in Brixen einen Schwächeanfall und verletzt sich beim Sturz so schwer, so dass er ins Krankenhaus eingeliefert wird. In immer surrealistischer werdenden, desaströsen Rückschlägen taumelt er, unbeirrt vorangetrieben, von Katastrophe zu Katastrophe. An der Gegenwart verzweifelnd sinniert er in all dem Chaos wie ein Traumwandler pausenlos über das Leben und dessen unveränderbare Determiniertheit. Für ihn sind es Vergangenheit, Erinnerung und das Gedächtnis, welche allein als Bauplan des Lebens die Gegenwart bestimmen.

Das bekanntlich besonders gute Gedächtnis von Elefanten hilft gleichermaßen auch den Menschen, wenn sie sich denn nur intensiv zu erinnern suchen. Alles andere als eine Roadnovel, bringt diese mit einem nachwortartigen Endkapitel als Höhepunkt schließende Erzählung durch ihre magischen Momente den Leser ins Grübeln darüber, was Selbstentfremdung und Weltfremdheit anrichten können. Man müsse dem selbst beikommen, dabei helfe einem auch kein Wikipedia-Artikel, so die Katharsis.

Fazit: lesenswert

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Genre: Novelle
Illustrated by Leykam Buchverlag Wien