Warum liebe ich diesen Mann?
Das erste in Deutschland erschienene Buch der US-amerikanischen Schriftstellerin Cathleen Schine spielt mit seinem Titel «Rameaus Nichte» auf ein von Goethe 1805 übersetztes Werk Diderots an, aber nicht nur damit. Es zitiert auch thematisch das posthum veröffentlichte und vielbeachtete Buch «Rameaus Neffe», ein philosophisch feinsinniger Lehrdialog zwischen Meister und Schüler, der die Seele eines gescheiterten Künstlers offenlegt und als erstes Auftreten des Typus ‹Intellektueller› gilt. Bei Cathleen Schine wird diese Thematik auf eine unerwartet äußerst erfolgreiche Buchautorin angewendet, die an der Realität und an sich selbst scheitert bei ihrer verzweifelten Suche nach der eigenen Identität.
Margaret Nathan, eine attraktive New Yorker Geisteswissenschaftlerin Ende zwanzig, verheiratet mit einem charismatischen Literaturprofessor, findet ein unveröffentlichtes Manuskript mit dem Titel «Rameaus Nichte», eine anonym verfasste Einführung in die Philosophie. Sie übersetzt das Traktat, stellt dabei aber fest, dass es in weiten Teilen aus Plagiaten verschiedenster Autoren des 18ten Jahrhunderts kompiliert ist und in Wahrheit einen geschickt kaschierten pornografischen Inhalt hat. Durch diese Arbeit gerät ihre Gewissheit über die seit zwölf Jahren glückliche Ehe mit Edward Nathan immer mehr ins Wanken, sie beginnt ihre Liebe und ihre Rolle als rundum zufriedene, beneidenswerte Ehefrau kritisch zu hinterfragen: «Warum liebe ich diesen Mann»? In einem von ihrer sinnlichen Phantasie angeheizten Prozess der Selbstfindung sucht die an sich eher schüchterne junge Frau schließlich den Kontakt mit potentiellen Sexpartnern. Sie bandelt, nachdem ihr schwuler Lektor von vornherein ausscheidet, zaghaft zuerst mit einem belgischen HiFi-Hersteller an, der sie aber abweist. Dann versucht sie, obwohl sie keiner lesbische Orientierung hat, ebenfalls vergeblich, ihre lebenslustige Freundin Lilly, eine feministische Autorin, zu verführen, um dann endlich doch noch mit ihrem adonisgleichen Zahnarzt im Bett zu landen. Den von ihr als Befreiung gedachten und herbeigesehnten Ehebruch hat sie nun wirklich in die Tat umgesetzt, – ohne dabei aber das gefunden zu haben, was sie suchte. Ihre sexuelle Selbstverwirklichung erweist sich als totaler Fehlschlag, sie ändert nichts.
Der dreiteilig aufgebaute Roman schildert im ersten Teil die Uni-Szene, Partyleben und Small Talk der New Yorker Intellektuellen mit belanglosen Disputen um Halbwahrheiten, im zweiten dann eine kunstsatte, bereichernde Reise der Heldin nach Prag, bei der sie erstmals seit der Hochzeit ganz auf sich selbst gestellt ist, da ihr smarter Mann sie nicht begleiten kann. Der dritte, die Hälfte des Buches umfassende Hauptteil schließlich behandelt die Irrungen und Wirrungen ihrer schwierigen Selbstfindung, ihre hilflosen Eskapaden, die allesamt nicht zur gewünschten Emanzipation führen. Sozialer Schein und privates Sein sind nicht unbedingt deckungsgleich, lautet das Fazit dieses puzzelartig angelegten Eheromans.
Wie schon die Titel andeuten, handelt es sich hier um zwei ineinander verschachtelte, gleichnamige Romane, zwei ironisch durchleuchtete Zeitepochen also, das Buch im Buch ist dabei das von der Heldin übersetzte Manuskript von «Rameaus Nichte». Diese innere, die Verführung und Entjungferung eines Mädchens, – der Nichte Rameaus nämlich -, erzählende Geschichte vom Anfang des 18ten Jahrhunderts ist in einer der Barockzeit nachempfundenen Sprache geschrieben, die zwar zeitgerecht ist, aber auch bis zur Unlesbarkeit verklausuliert. Hingegen ist die Ende des 20ten Jahrhunderts angesiedelte Geschichte einer modernen Lebens- und Liebeskrise amerikanisch knapp und salopp erzählt. Sie glänzt mit den funkelnden, geistreichen Dialogen ihrer durchweg sympathischen Figuren und den weitläufigen inneren Monologen der Protagonistin. Der Lesegenuss dieser intellektuell anspruchsvollen Lektüre wird zusätzlich durch einen köstlichen Humor bereichert.
Fazit: erfreulich
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