Die Frau auf der Treppe

schlink-1Reine Inhaltsliteratur

Bernhard Schlinks neuer Roman «Die Frau auf der Treppe» hat schnell Bestsellerstatus erreicht, ob er allerdings an seinen großen Erfolg «Der Vorleser» anknüpfen kann, bleibt abzuwarten. Denn dessen origineller Geschichte, die sich einst so trefflich zur Verfilmung eignete, steht hier nichts Vergleichbares gegenüber, nur der Titel des Romans wirkt geheimnisvoll und macht neugierig. Aber reicht das aus, einen Roman lesenswert zu machen, nicht nur reiner Zeitvertreib zu sein? Mitnichten, wird erkennen, wer den kurzen Roman gelesen hat, zum Lesegenuss gehört eben mehr als nur ein verheißungsvolles Sujet. Sprachliche Eleganz zum Beispiel, ein raffiniert aufgebauter Plot, eigene Reflexionen anregende Gedanken oder Geschehnisse, den Horizont erweiternd, den Leser inspirierend und bereichernd, literarische Imagination mithin. Von all dem kann hier nicht die Rede sein!

Vordergründig geht es um ein Gemälde, das sich im Titel dieses Romans widerspiegelt, wobei Gerhard Richters «Ema – Akt auf einer Treppe» dem Autor erklärtermaßen als Inspiration gedient hat. Irene, die nackte Frau auf diesem Bild, wird von drei Männern umworben, ihrem verlassenen Ehemann, der das Bild gekauft hat, dem derzeitigen Liebhaber, der es gemalt hat, und einem Rechtsanwalt, der den Maler vertritt beim erbitterten Streit um die Wahrnehmung seiner Rechte an dem Gemälde. Der verliebte Anwalt hilft Irene beim Diebstahl des Gemäldes, sie verschwindet damit spurlos, seine Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben mit ihr bleiben unerfüllt. Vierzig Jahre später entdeckt er das Bild in einer Galerie in Australien und findet auch Irene wieder, die illegal in der Einsamkeit eines Naturschutzgebietes versteckt lebt und an einem Pankreaskarzinom im Endstadium leidet. Auch der Eigentümer des Bildes und der Maler tauchen schon bald dort auf, in einer Art Showdown wird nochmals ergebnislos um das Bild gestritten. Irene hat es der Galerie geschenkt, sie endet durch Selbstmord, nachdem sie mit dem Anwalt einem Buschbrand entkommen ist.

Schlinks drei männliche Hauptfiguren sind grotesk überzeichnete, egoistische Erfolgsmenschen. Der Ich-Erzähler, als Spießer im Luxus lebend, mit juristischer Bilderbuchkarriere und wenig bilderbuchartigem Familienleben, erfährt in der vor Klischees geradezu strotzenden Geschichte zuletzt eine an naive Bibelgeschichten erinnernde Läuterung. Der Maler ist zur höchstbezahlten Nummer Eins der Kunstwelt aufgestiegen, der Eigentümer des Gemäldes schwimmt als erfolgreicher Unternehmer ebenfalls im Geld. In einer Diskussion mit dem Maler über die politischen Bedrohungen der Zeit lässt ihn der Autor sagen: «Sie machen sich Sorgen wegen der Armen? Solange der Fernseher läuft und Bier auf dem Tisch steht, sind sie keine Bedrohung, und dafür langt es allemal». Es wimmelt von derartigen Plattitüden, die der Autor aber erkennbar ernst zu meinen scheint, eine Denkweise, die in diesem Kitschroman häufig vorkommt, ohne dass sich Anzeichen einer satirischen Überzeichnung dieser schablonenhaft gestalteten Figuren finden. Die übrigens allesamt ziemlich blass bleiben und weit davon entfernt sind, Empathie beim Leser zu wecken.

Sprachlich uninspiriert, mit einfachster Syntax und massentauglich begrenztem Wortschatz, wurde hier ein banaler Plot konstruiert, der sich allenfalls als Strandlektüre eignet. Die Leser werden darin vieles wiederfinden, was sie am Stammtisch schon ganz ähnlich gehört haben, der Autor übt sich als Möchtegern-Philosoph. Der sonst so geschwätzige Plot lässt vieles offen, Irenes kriminelle Taten zum Beispiel, deretwegen sie steckbrieflich gesucht wird, und über ihre Tochter erfahren wir ebenfalls nichts. Reiner Inhaltsliteratur, wie sie Schlinks Werke darstellen, verzeiht man derartige Konstruktionsfehler nicht. Und literarisch kompensieren lassen sich solche Mängel in einem Schundroman auch nicht, womit denn?

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Diogenes Zürich

Die Frau auf der Treppe

SchlinkFrauaufTreppe Drei völlig unterschiedliche Männer, vordergründig geeint durch eine unerfüllte Liebe: der narzisstische Künstler, der schwerreiche Unternehmer, der Anwalt, der nur solange vermitteln will, wie er Recht behält. Eine Frau, die sich allen drei Männern gleichermaßen entzogen hat.

Die Frau, Irene, stand einst Modell für ein Frühwerk des heute bedeutenden Künstlers Karl Schwind. Seit Jahrzehnten hat niemand mehr „die Frau auf der Treppe“ gesehen, der Verbleib des Gemäldes ist unklar, von Geheimnissen umwittert. Irenes erster Mann, der Unternehmer Gundlach hat es 1968 bei dem damals noch unbekannten Schwind in Auftrag gegeben, „um den Lauf der Zeit anzuhalten“. Zwischen Künstler und Modell entbrennt eine stürmische Liebschaft, woraufhin Gundlach das Werk systematisch beschädigt. Der Künstler erkennt, dass er nur weitermalen kann, wenn er selbst entscheiden kann, was mit seinen Bildern geschieht.

Es folgt ein erbitterter Streit um die Eigentumsrechte an dem Bild, um das Recht des Künstlers an seinem Werk. In dieser Phase betritt ein junger, aufstrebender Anwalt, Schlinks-Ich-Erzähler die Szene. Von ihm verlangen die Rivalen einen Vertrag, der den Tausch Frau gegen Bild vorsieht, ohne dass die Frau davon weiß. Denn für den einen ist sie doch nur die Muse, für den anderen die Vorzeigegattin, für beide eine Verschiebemasse. Der junge Anwalt verbündet sich mit Irene. Der Vertrag wird nur zum Schein geschlossen, er hilft Irene bei einem gewagten Vorhaben. Irene flieht, mit ihr das Bild. Der Anwalt, der zum ersten Male in seinem Leben die Liebe erahnte, bleibt zurück. Soweit die im Roman in Rückblenden erzählte Vorgeschichte.

In der Gegenwart begleiten wir den Anwalt auf einer Geschäftsreise nach Australien. In seiner Freizeit besucht er eine Kunstausstellung und findet sich plötzlich völlig unvermutet vor der „Frau auf der Treppe“ wieder. In diesem Moment sieht er ganz klar, dass seine Geschichte mit Irene noch nicht auserzählt ist. Er lässt seine Kontakte spielen, recherchiert und findet sie nach einer für seine Verhältnisse abenteuerlichen Reise schließlich wieder. Sie lebt – oder besser gesagt – stirbt auf einer einsamen Insel. Er ändert seine Pläne und bleibt bei ihr.

Ganz so einfach gestaltet es sich auch diesmal nicht, das Wiederauftauchen des Bildes hat sowohl den Maler als auch den Unternehmer auf den Plan gerufen. Auch sie finden Irenes Aufenthaltsort heraus und sich auf der Insel ein. Man reflektiert, streitet, spreizt sich und resigniert schließlich. Der Verbleib des Bildes wird geklärt, Irene hat ihren letzten großen Auftritt. Zum Schluß bleibt nur der Anwalt zurück und begleitet Irenes Sterben. Sie ziehen Bilanz, erträumen sich aber auch einen ganz anderen Lebens-Verlauf. Schlussendlich ist es ausgerechnet der Tod seiner ersten unerfüllten Liebe, der dem Anwalt zu einem neuen Leben verhelfen wird.

Hintergründig eint die drei Männer weniger ihre unerfüllte Liebe als ihr egozentrisches Wesen und ihr unbedingter Wille, ein Lebenswerk vorweisen zu können, dem sie alles opfern. Vor allem ihr eigenes Glück. Irene hingegen will – den nahenden Tod vor Augen – einmal noch die längst vergessen geglaubte Bewunderung „ihrer“ Männer spüren. Schade, dass ihre Figur derart reduziert wird, denn eigentlich hat gerade sie mit einer nicht näher beschriebenen RAF-Vergangenheit den spannendsten Lebenslauf.

Es ist ein ganzes Füllhorn voller Themen, welches Schlink über den Leser ausgießt. Feminismus, Kapitalismuskritik, Terrorismus, die Bedeutung der Kunst, Liebe und Tod, das Alter, Spießertum, Drogensucht – man kann dem Autor nicht vorwerfen, er hätte etwas ausgelassen. Leider wird vieles nur angerissen, weniges vertieft. Den Leser beschleicht das Gefühl, dass man es hier mit einem typischen Problem der Alt-68er-Generation zu tun hat: Sucht der Autor zwanghaft etwas, was geblieben ist und bleiben wird? Gerade diese Generation bedauert ja sehr, dass vieles von dem wegbricht, was sie einst erfolgreich machte und bewegte. Dazu passt auch die resignierte Erkenntnis des Anwalts, dass es doch meist die kleinen Niederlagen im Leben sind, die nachwirken. „Die kleinen Splitter sind schwerer zu entfernen als die großen… “

Seit dem „Vorleser“ scheint Schlink es keinem mehr recht machen zu können. Vielleicht sind die Erwartungen auch deshalb so hochgeschraubt, weil „der Vorleser“ es in den Lektüreschlüssel der gymnasialen Oberstufe geschafft hat, in dem z.B. Bertolt Brecht selten zu finden ist. Diesbezüglich kann man Schlink natürlich überbewertet finden, allerdings kann der Autor selbst wohl am allerwenigsten dafür. Mit der Frau auf der Treppe erzählt Bernhard Schlink einfach eine Geschichte, zwar etwas überfrachtet, aber nicht langweilend. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein leiser Hauch von Melancholie ist spürbar, eine leise Trauer über verpasste Chancen nachvollziehbar. Manchmal ist die Atmosphäre erstaunlich dicht, dann wiederum wird es doch arg schwülstig: „An der Kathedrale der Gerechtigkeit arbeiten viele Steinmetze!“ Ein Sympathieträger fehlt völlig.

Müßig sind Spekulationen, ob Schlink sich bei der Figur des Malers Schwind an Gerhard Richter orientiert hat. Schlink selbst verweist in einem Nachsatz darauf, dass ihn Richters Werk „Ema. Akt auf einer Treppe“ inspiriert habe, der Künstler Schwind jedoch frei erfunden sei.

Erstveröffentlichung dieser Rezension in den Revierpassagen.de


Genre: Romane
Illustrated by Diogenes Zürich