Das grosse Los

Winnemuth_MDas_grosse_Los_136656In Hamburg sagt man Tschüss. Dachte sich auch die als experimentierfreudig bekannte Hamburger Journalistin Meike Winnemuth, packte einen Koffer und war dann mal ein Jahr lang weg. Auf Weltreise. Einfach weg war das Ziel. Zwölf Monate in zwölf Städten auf fünf Kontinenten.

Meike Winnemuth traut sich gerne was. Gerne aber auch mit eingebautem Sicherheitsnetz.  Aus diesem Grund traute sie sich zunächst einmal nach Köln. Zu Günter Jauchs Wer wird Millionär, beantwortete dank Publikumsjoker sogar die “verfranzte” 500.000 Euro Frage und gewann eine phantastische halbe Million. Auf Jauchs obligatorische Frage danach, was sie mit dem Gewinn nun anstellen werde, manifestierte sie noch in der Sendung –leicht unter Gewinnschock stehend – ihre bis dahin nur halbgare Weltreiseabsicht.

Keine drei Monate nach Wer wird Millionär war Meike Winnemuths Leben in der Hansestadt eingefroren, in Istanbul feierte sie mit Freunden Silvester und Abschied. Von dort ging der Flieger nach Sydney, ihrer ersten Station. Es sollte keine Reise im eigentlichen Sinne sein. Der Plan war, in den ausgewählten zwölf Städten ihrer Arbeit als freiberuflicher Journalistin weiter nachzugehen, jeweils einen Monat Alltag zu erfahren und mit zu erleben. Wohnung beziehen in der Heimatlosigkeit. Ihre Stationen: Sydney, Buenos Aires, Mumbai, Shanghai, Honolulu, San Francisco, London, Kopenhagen, Barcelona, Tel Aviv, Addis Abeba und Havanna. Wo immer möglich, lebte sie in möblierten Wohnungen – jede schon eine Geschichte für sich, kaufte dort ein, wo die jeweiligen Städter auch einkauften und tauchte ein in fremde Welten. Nicht zuletzt auch dank diverser Dinge, die sie im Auftrag von Lesern des SZ-Magazins ausführte. Ganz wichtig war ihr, in jeder Stadt etwas Neues zu lernen: “Denn das Wunderbare daran, von etwas überhaupt keine Ahnung zu haben: Du machst rasend schnell Fortschritte.”

Während dieser zwölf Monate führte sie ein Blog – vormirdieWelt.de – und ob der großen Resonanz lag die Idee nahe, nach Rückkehr ein Buch über diese Reise zu schreiben. Das grosse Los avancierte in kürzester Zeit zum Bestseller. Und dies sogar völlig zu Recht. Das grosse Los ist ein bewegendes, humorvolles, spannendes, hoch interessantes und informatives Buch geworden, an keiner Stelle langweilig. Meike Winnemuth ist mehr als eine “gelernte Schreiberin”. Sie schreibt mitreißend, aus dem Bauch und dem Herzen heraus, mal nachdenklich, mal witzig, immer ehrlich. Gelegentlich spöttelt sie ganz gerne, dann aber auf hohem Niveau und am liebsten auch über sich selbst. Das Buch setzt sich zusammen aus zwölf Briefen, aus jeder Stadt einen, addressiert an beste Freundinnen, alte Lieben, ihr jüngeres Ich und an ihren Publikumsjoker. Die Kapitel/ Briefe werden jeweils ergänzt durch eine Liste der 10 Dinge, die sie in der betreffenden Stadt gelernt hat sowie durch während des Jahres entstandene Fotos

In den Briefen beschriebt sie mit viel Empathie für die jeweiligen Städte und ihre Bewohner ihre Erlebnisse und Erfahrungen, nicht zuletzt auch die Erfahrungen mit sich selbst. Denn was macht es mit einem, wenn man in eine ganz fremde Welt, eine ganz fremde Umgebung geworfen alleine zurecht kommen ist? Genau diese Erfahrungen und Meike Winnemuths Fähigkeit zum Staunen sind es, die das grosse Los so spannend machen. Kulturschocks, Überraschungen, immer wieder das Glück des Zufalls – Meike Winnemuth erfährt, wie sehr man durch seine Umgebung geprägt wird und erlebt sich in jeder Stadt neu: “Mal entspannter als die Werkseinstellung, mal neugieriger und umtriebiger. Entflammt, genervt, genießerisch, übermütig, überfordert, ich mochte alle meine Versionen.”

Schon unterwegs und erst recht nach “diesem besoffen machendem Jahr ” stellt sich ihr auch die Frage nach Heimat. Ununterbrochen unterwegs zu sein ist in unserer rastlosen Welt ja nicht länger nur ein Markenzeichen der globalen Elite. Die Frage, ob gute Koffer wichtiger sind als Heimat, liegt heutzutage auf der Hand. Heimat ist auch keine Lösung, zu diesem Schluß kommt auch Meike Winnemuth: “Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, Heimat ist da, wo man begraben werden will .”

Ihr größter Schock unterwegs: der zwischenzeitliche Kassensturz. Das eingebaute Sicherheitsnetz in Form des WWM Gewinns– sie hätte es gar nicht gebraucht. Es wäre auch so gegangen. Sie hätte jederzeit einfach nur losfahren müssen. Ihre schönste Erkenntnis: “Was alles geht und was es alles gibt, davon habe ich eine kleine Ahnung bekommen. Dass die Welt voller Möglichkeiten steckt, die Dinge anders zu sehen und anders zu machen.” In Summe ist das grosse Los ein Plädoyer gegen zuviel Eindeutigkeit und für mehr sowohl als auch.

Fazit der Autorin: Einfach wagen: “Nicht lang schnacken, Koffer packen.
Glück ist ein Gefühl von Möglichkeit

Fazit der Rezensentin; Unbedingt lesen. Das Buch übertraf meine durchaus
nicht kleinen Erwartungen bei weitem.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Dokumentation
Illustrated by Knaus München