Hotel Alpha

Das “Alpha” ist eine Institution in London, das außergewöhnlichste Hotel der Metropole und wohl auch sein schönstes. Sein Besitzer, der charismatische Howard York, Selfmademan, Zauberkünstler und Alleskönner, hat sich mit dem Alpha das Reich seiner Träume gebaut. Er ist ein Mensch, der jedem das Gefühl gibt, einfach alles sei möglich. Ganz London liegt ihm zu Füßen und sonnt sich in seinem Glanz und dem seiner Bilderbuchfamilie; der bildschönen Gattin Sarah-Jane, JD, dem ältesten Sohn und Nachwuchsplayboy und dem blinden Adoptivsohn Chas, den Howard dareinst bei einem Brand aus den Flammen gerettet hat.

Für Chas ist das Alpha noch mehr ein Kosmos im Kosmos als für die anderen. Er geht nicht gerne hinaus in die Welt, ihm reicht der Widerhall, den alles, was draußen geschieht, im Alpha erfährt und er findet Halt in den ganz eigenen Regeln des Hotels. Bis zwei Dinge seinen Horizont erweitern – das Internet im noch jungen Computerzeitalter und die Liebe. Sie alle werden begleitet und behütet von Graham, dem unnachahmlichen, einzigartigen, unentbehrlichen Concierge, Seele und guter Geist des Hauses seit dem Tage seiner Eröffnung.

Doch ist wirklich alles so einzigartig, so perfekt wie es scheint? Ist das Alpha wirklich aus Träumen und Visionen erbaut oder gibt es da ein dunkles Geheimnis, eine Lüge gar, die in stillem Einverständnis von allen, die das Alpha lieben und glorifizieren, mitgetragen wird? Erste Risse bekommt das ach so perfekte Gebäude mit dem überraschenden Weggang zweier Mitarbeiterinnen, die vor allem Graham und Chas mehr als nur bloße Kollegialität bedeutet haben. Im Laufe der Jahre verliert Grahams Mantra “”Je mehr die Dinge sich ändern, desto mehr bleiben soe, wie sie sind” seinen tröstlichen Charakter. Dinge ändern sich und mit ihnen das Licht, in dem der Held erscheint. Und das führt zu einem der wiederkehrenden Lieblingsthemen Mark Watsons: Manchmal sind es unwesentliche kleine Entscheidungen, die im Nachhinein ein furchtbares Gewicht bekommen.

Einmal mehr ist es dem Briten Mark Watson mit dem “Hotel Alpha” gelungen, einen Kosmos zu erschaffen, den der Leser gerne betritt, mehr noch, von dem er sich wünscht, dazugehören zu dürfen. Die Geschichte des Hotels wird über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten abwechselnd aus der Perspektive Grahams und Chas’ erzählt, wobei sie das Hotel nicht nur glorifizieren, sondern geradezu personifizieren. Howard ist ihr Held, der Charakter, um den sich alles dreht. Dennoch erfährt der Leser nichts aus seiner Perspektive, so dass Howard (fast) bis zum Schluß der unangefochtene Entertainer seiner eigenen Vision bleiben darf.

Obwohl das Hotel vordergründig im Mittelpunkt steht, ist das Hotel Alpha letztendlich eine Familiengeschichte, in eine sehr geschickte, sehr ansprechende Rahmenhandlung gepackt. Der Rahmen des Hotels gibt dem Autor die Gelegenheit, eins seiner größten Talente zu entfalten: Zu zeigen, wie sich Charaktere entwickeln, wie Menschen sich miteinander vernetzen und wie vielfältig sie miteinander verbunden sind. Der Roman entwickelt sich wie eine gehobene Seifenoper für die unterhaltungssüchtige, aber anspruchsvolle Leserschaft. Es gibt die euphorische Anfangszeit, in der alles möglich scheint. Ein Feuer, welches alles beinahe zunichte macht, aber gerade eben nochmal gut ausgeht und so die eigentlich schon da fällige Katharsis um Jahrzehnte verzögert. Den technischen Fortschritt und schließlich eine weitere Beinahe-Katastrophe, die endgültig alle Mitwirkenden zwingt, den Schleier der Illusion zu lüften. Eine großartige Fernsehserie könnte man daraus machen.

Auch Howard ist nur vordergrüding die Person, um die sich alles dreht. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto klarer wird, dass seiin Mythos erst von denen ermöglicht wird, die scheinbar am Rande stehen und “nur” beobachten. Dass der Mythos Alpha, mit ihm der Mythos Howard so lange überlebt, das große Geheimnis so lange gewahrt bleibt, liegt an denen, die es wahren und beschützen, denen die sich nicht trauen, die sie wärmende Illusion aufzugeben. “Wenn das Alpha auch nicht dier reale Welt war, so war es doch die, in der wir lebten.” Es bleibt die Frage, wie geht man mit Veränderungen um, wie nimmt man sie an, ohne seine ureigensten Überzeugungen zu verraten und sich selber treu zu bleiben?

Es hat eine gewisse berückende Logik, dass ein Ausnahmeschriftsteller wie Mark Watson, der schon in seinen vorherigen Romanen mit einem ganz eigenen, besonderen und warmherzigen Schreibstil gefiel, mit dem Hotel Alpha einen so eigenen, besonderen, von Warmherzigkeit gekennzeichneten Ort zum Mittelpunkt eines Romas macht. Das Hotel Alpha und seine Eigentümer zeichnen sich durch eine ganz besondere Atmosphäre, einen sehr speziellen Flair aus – ebenso wie die Bücher von Mark Watson. Auch im “Hotel Alpha” fällt eines wieder besonders auf: Bei aller Begabung zur Lakonie ist Watson ein Autor, der seine Protagonisten aufrichtig mag. Alle. Ausnahmslos. Auch die, die nicht als Sympathieträger angelegt sind. Watson hat für alles Verständnis, nichts Abseitiges ist ihm fremd, er begleitet alle seine Charaktere mit Menschlichkeit und Nachsicht. Watson wirbt fortgesetzt für mehr Empathie und weniger Schubladendenken. Gerade heute – in einer Zeit allzu schnell festgesetzter Urteile – wichtiger denn je.

Das Hotel Alpha ist ein kluges Buch, nie verliert es seinen optimistischen Unterton Anspruchsvoll ob der vielen sich kreuzenden Geschichten und handelnden Personen schafft Mark Watson den Spagat zwischen Leichtigkeit und Tiefsinn und gibt dem Leser so ganz en passant den Glauben an die Wunder des Lebens und des Alltags zurück.

Mark Watson genießt in England auch als Kolumnist, Radio- und Fernsehmoderator sowie als Stand-Up Comedian Kultstatus. Die Briten lieben ihn für seine Unerschrockenheit, seine klaren Worte und seine Experimentierfreude auf allen Gebieten Früh schon hat er mit seinem Blog die Möglichkeiten, die das Internet ihm zusätzlich bietet, erkannt und genutzt. Konsequenz aus dieser Erfahrung und seiner Experimentiertfreude ist nun eine fulminante Idee. Mit dem Schluss des Buches ist noch lange nicht Schluss mit dem Hotel Alpha. Auf der liebevoll und sorgfältig gemachten Seite hotelalphastories.de finden sich hundert weitere Stories aus dem Hotel-Kosmos. Eine Geschichte ist nun mal nicht nur auf das beschränlt, was man zwischen zwei Buchdeckeln pressen kann. Anstatt das Internet zu verteufeln, nutzt Watson seine Möglichkeiten – ganz so wie Chas’ in seinem Roman. Mit den Alpha-Stories hat er die Möglichkeit, seinen Kosmos noch schillernder auszubreiten und – der Leser muss sich nicht nach Ende der Lektüre allzu schnell von der gerade erst liebgewordenen Welt und den ans Herz gewachsenen Helden verabschieden. Der Vorsatz allerdings, das Goodie der 100 Stories nur wohldosiert zu genießen, lässt sich aufgrund des hohen Suchtfaktors von Watsons Geschichtens eher nicht halten

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Heyne München

Überlebensgroß

Mark Watson? Überlebensgroß? Da war doch was? Richtig -. ich war das. Ich hatte Mark Watson 2011 für seinen ersten auf Deutsch erschienenen Roman Elf Leben hochgejubelt, für überlebensgroß erklärt  und dieses Buch letztendlich sogar zu meinem Buch des Jahres 2011 gekürt. 

Mark Watson ist ein Romanautor, der in England auch als Kolumnist, Radio- und Fernsehmoderator sowie als Stand-Up Comedian Kultstatus genießt. Wörtlich schrieb ich 2011, dass ich inständig auf weitere ins Deutsche übersetzte Bücher von ihm hoffe. Ein bißchen habe ich warten müssen, was möglicherweise mit der Suche nach einem neuen Verlag zusammenhing. Aber nun bin ich zufriedengestellt, Überlebensgroß ist da und  im Juli erschien zudem als Taschenbuch eines der ersten Bücher Watsons auf Deutsch, Rückwärtsleben. .

Man ahnt es, meine Erwartungshaltung also war überlebensgroß und das ist nie fair. Fazit vorab: Überlebensgroß hat mich nicht ganz so gepackt wie Elf Leben. Es mag daran liegen, dass der Schreibstil Watsons mir schon vertrauter war und mich nicht mehr so überraschen konnte. Möglicherweise aber auch daran, dass Watson in Überlebensgroß ein ganzes Füllhorn von Themen über den Leser ausschüttet, in Summe vielleicht ein bißchen arg viel für knapp 400 Seiten. Es geht um Familie, um Liebe, um Freundschaften, um das Alter, um Alzheimer, um unerfüllte Sehnsüchte, in Summe darum, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, im Überbau gibt es noch ein fein gezeichnetes Zeitbild des Lebens kleiner Leute in den 60ern dazu. Dennoch ist es ein Buch, welches lange nachwirkt und eine uneingeschränkte Empfehlung bekommt.

MarkWatsonUeberlebensgroß Überlebensgroß die Geschichte von Dominic Kitchen und seiner Familie. Eigentlich ist es eine einfache Geschichte, alles andere als überlebensgroß, an und für sich ist es eher eine Geschichte all der kleinen Dinge, die das Leben lebenswert oder schwer machen. Dominics Familie ist auf der einen Seite geprägt von liebenswerten Schrullen, auf der anderen von Ignoranz. Wie in allen Familien gibt es Familiengeheimnisse, Streitigkeiten und Schwierigkeiten. In der Familie Kitchen ist man aber meist damit zufrieden, allem einen schönen Schein zu geben und diese unter den Teppich zu kehren. Bloß nicht dran rühren ist das Credo. Dominic ist in dieser Familie der Jüngste, derjenige, auf dem die wenigsten Hoffnungen ruhen und von dem am wenigstens erwartet wird. Seinem Bruder Max begegnet er mit wenig Sympathie, alleine seine schöne, wilde Schwester Victoria, die immer für eine Überraschung gut ist, betet er an und stellt sie auf ein überlebensgroßes Podest.

Dominic entdeckt früh seine Leidenschaft für die Fotografie. Sein Brot verdient er als Hochzeitsfotograf und hält so die glücklichsten Momente im Leben anderer Menschen fest, während Glück für ihn selbst unerreichbar scheint. Die Kunst der Fotografie ist für ihn auch die Möglichkeit, der Unsichtbare zu bleiben, der Mann hinter der Kamera, den man meistens nicht zur Kenntnis nimmt. Günstig für ihn, denn Dominic baut nach außen zwar eine Scheinwelt auf, die gesellschaftlichen Normen entspricht, doch er wird getrieben von einer unerlaubten, unerhörten Sehnsucht, von der keiner je erfahren darf. Und genau an dieser Stelle bricht hier mit Absicht die Inhaltsangabe ab, denn es wäre wirklich schade, dem Leser das dunkle Geheimnis zu verraten und ihn so des – ohne Übertreibung – wirklich schockierenden und unerwarteten Momentes zu berauben.  Nur soviel: Mark Watson bricht da ganz en passant eins der letzten Tabus, ein Tabu, über das auch jenseits sämtlicher existierender Feuchtgebiete nicht gesprochen wird.

Im Original heisst das Buch the Knot – der Knoten und auch wenn mir hier ausnahmsweise einmal der deutsche Titel besser als das Original gefällt, passt natürlich der Verweis auf den  Knoten ganz gut. Dominic ist erfüllt von einer Sehnsucht, die niemand billigen würde oder verstehen könnte. Einer Sehnsucht, die ihm den Hals zuschnürt und einen Knoten in seinem ganzen Lebensentwurf knüpft, den er niemals wird auflösen können, der nicht einfach mit einem Klick auf den Auslöser zu entwirren ist. Auch nicht in der Aufarbeitung.

Mark Watson ist für seine Experimentierfreude auf allen Gebieten bekannt, auch für Unerschrockenheit und klare Worte. Des gilt umso mehr für Überlebensgroß. Er schreibt in einer schönen, klaren, flüssig zu lesenden Sprache, hat dabei aber einen ganz eigenen Stil. Nur auf den ersten Blick wirken seine Sätze leicht, wie hingeworfen. Auf den zweiten Blick ist er ein Meister der Lakonie, verbunden mit viel Empathie für seine Charaktere und deren Geschichten. Er ist komplett unerschrocken, packt Themen an, denen die meisten Schriftsteller sich nicht einmal nähern würden. Gelegentlich hat er einen leichten Hang zum Pathos, doch da er nie kitschig wird, schadet das aber nicht. Im Gegenteil – dadurch werden seine Geschichten nachempfindbar und das vorher so leicht und lakonisch Hingeworfene trifft den Leser mit voller Wucht. Es sind die Gegensätze, derer sich Mark Watson gerne bedient. So geht der Schluß des Romans einerseits tief zu Herzen, andererseits befreit er Dominic und mit ihm den Leser mit dem Wagnis eines alle Konventionen verletztenden unerhörten Befreiungsschlags.

Mark Watson ist ein Ausnahme-Sschriftsteller. Auch wenn ich elf Leben immer noch den berühmten Tacken besser fand, ist auch Überlebensgroß weit lesenswerter als so ziemlich alles, was derzeit als Bestseller hochgejazzt wird, mir tausendmal lieber als das zigste Remake von Forrest Gump, Love Story oder ziemlich beste Freunde. Sorry, aber das war mir jetzt ein Anliegen. Dazu demnächst mehr.

Ein freundlich gemeinter Rat zum Schluss: Wenn Sie ein Mann sind, schenken Sie dieses Buch NICHT ihrer Schwester. Jedenfalls nicht, ohne es vorher gelesen zu haben. Glauben Sie mir.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift

*Elf Leben gibt es mittlerweile auch im Heyne Verlag, die dort verlegte Taschenbuchausgabe trägt den Titel Ich könnte am Samstag.
Alle Bücher auch als E-Book, Hörbuch oder Audio-Download


Genre: Romane
Illustrated by Heyne München

Elf Leben

MarkWatson
“Überschätzen die Leute, was sie verändern können oder unterschätzen sie es?” Um diese zentrale Frage menschlichen Daseins dreht sich ein kluges, überraschendes Buch des Briten Mark Watson. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Sturm entfachen oder jeder kennt jeden um höchstens 6 Ecken. Diese Theorien sind nicht neu, Wissenschaftller aller Couleur und sogar soziale Netzwerke wie Xing mühen sich, den Beweis dafür zu erbringen. Neu ist, dass ein Autor den Versuch wagt, sich dieser Theorien literarisch anzunehmen. Mit Elf Leben ist Mark Watson mehr als das gelungen.

Xavier Ireland ist der Domian Großbritanniens. Moderator einer nächtlichen Radiosendung, in der Menschen anrufen, die schlaflos in London ihre Geschichten wälzen und sich von Xavier die Lösung ihrer Probleme auf einem Silbertablett erhoffen. Xavier hört ihnen zu, agiert jedoch mehr am Rande dieser Geschichten. Wohl gibt er Hilfestellung, aber er mischt sich nicht ein. Der Leser vermutet schnell, dass dies mit seiner eigenen Geschichte zu tun hat. Wenig gibt er von sich preis. Gerade soviel, dass man weiß, Xavier ist in Australien aufgewachsen, er hatte dort Freunde und eine große Liebe – um von einem auf dem anderen Tag wegzugehen und auf einem fernen Kontinent unter neuem Namen ein neues Leben zu beginnen, als eben jener Radiomoderator. Erst die Begegnung mit der exzentrischen, vor Leben sprudelnden Pippa, die trotz ihres eigenen Schicksals nie aufhören kann, sich einzumischen, die Xavier zunächst nur widerstrebend als Putzfrau in sein Leben lässt – erst diese Begegnung und die aufkeimende Liebe brngt ihn dazu, sich seinem Leben und seiner Vergangenheit zu stellen. Eine Entscheidung herbeizuführen, was er mit seinem Leben wirklich anzufangen (ver)mag. Soweit der vordergründige Plot. Im Hintergrund kreuzen sich zehn weitere Lebenswege. Mit Xavier sind dies die titelgebenden elf Leben, deren Schicksale unausweichlich miteinander verbunden sind. Sie werden sich nie begegnen, nie voneinander erfahren, aber das Handeln Xaviers, besser gesagt, sein Nicht-Handeln bleibt nicht ohne Einfluss auf die Schicksale dieser Menschen und sein eigenes.

Die eingangs gestellte Frage beantwortet diese Buch mit einem klaren “Du kannst das Leben von jemand ändern, ohne es überhaupt zu wissen. Es ist viel einfacher, Dinge zu wissen, als sie zu beherrschen..” Im Roman werden die elf Schicksalsfäden zusammengeführt, es schliesst sich ein Kreis. Anders und bestürzender als gedacht und erhofft. Dem Leser bleibt die Hoffnung, dass das Leben “Begnadigungen in letzter Minute” gewährt und der Kreis ein Schlupfloch lässt.

Elf Leben ist ein kluges, tief beeindruckendes und lange nachwirkendes Buch. Anspruchsvoll ob der vielen sich kreuzenden Geschichten und handelnden Personen schafft der Autor den Spagat zwischen Leichtigkeit und Tiefsinn. Den Leser stößt er in ein Wechselbad der Gefühle – charmante, feinfühlige Momente und scharfsinnige Beobachtungen lassen ihn lächeln und Tränen blinzeln zugleich. Er gibt ihm keine Lösungen mit auf dem Weg, aber viele Denkanstöße. Mark Watson schreibt, als wäre ihm die Geschichte mit Leichtigkeit aus der Feder geflossen, als hätte er nur notiert, was das Leben ihm diktierte. Nicht wenige Kritiker zogen den Vergleich zu Nick Hornby, ich finde ihn zu bemüht. Hornbys Geschichten sind wie aus einem Guß, ein melancholischer Unterton schwingt immer mit. Bei Mark Watson ändert sich der Ton, als er beginnt, die Tragödie des Xavier Ireland zu erzählen und trotz der Dimensionen dieser Ereignisse und dem überraschenden Ende verliert das Buch nie seinen optimistischen Unterton. Watson findet eine eigene Sprache für seine Geschichte, lakonisch und stilvoll zugleich. Manche Sätze sind so leicht, aber pointiert, dass man erst locker über sie hinweg liest, um nach einem kurzen Innehalten nachdenklich und tief berührt zu ihnen zurückzukehren. Lange wiegt er den Leser in falscher Sicherheit. Vom leichten Ton der ersten Hälfte getragen, war ich mir ziemlich sicher, welcher Art das große Geheimnis ist, welches Xavier umgibt. Aber – selten so daneben gelegen. Die zugrunde liegende Tragödie ist alles andere als lapidar, sie ist vielmehr in der Tat ein Grund dafür, dass ein Mann so aus der Welt fallen kann wie unsere Hauptfigur. Zusätzlich stockt dem Leser irritiert der Atem, wenn Watson den Kunstgriff anwendet, by the way der Zukunft vorzugreifen. So endet eine entscheidende Begegnung mit der simplen Feststellung “Sie gaben sich die Hand. Zwei Männer, die sich nie mehr wiedersehen werden”. So, als ob doch schon alles vorherbestimmt und auch durch Einmischen nicht mehr zu ändern wäre. Ebenso überraschend endet der Roman nicht an der Stelle, wo der Leser es erwartet hätte. Watson schreibt es auch noch ganz deutlich “Hier könnte die Geschichte enden”. Doch das tut sie nicht. Genauso ist das Leben eben nicht. Es ist nicht wie die Scrabble-Turniere, mit denen Xavier seine Sonntagnachmittage verbringt.

Mein Fazit: Den Wert der Buchstaben in Elf Leben hat Watson definitiv mehr als verdoppelt. Ich empfehle dieses sehr besondere Buch – selten genug – uneingeschränkt.

Der Autor: Mark Watson ist ein in England sehr beliebter Romanautor, Kolumnist, Radio- und Fernsehmoderator und Stand-Up Comedian. Studierter Literaturwissenschaftler und Umweltaktivist, ausserdem als Blogger noch einer von uns. Elf Leben ist sein erstes in Deutsche übersetze Buch. Ich für meinen Teil hoffe inständig auf weitere.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Eichborn Verlag