Er ist wieder da

Timur_Vernes_er_ist_wieder_daAdolf Hitler erwacht 2011 und bewegt sich wie Catweazle durch eine Zeit, die ihn erheblich irritiert. Was ist aus seinem Dritten Reich geworden? Die Volksgenossen sprechen teilweise ein ihm unverständliches Idiom, es gibt technische Geräte wie Fernseher und Computer, die er nicht bedienen kann und statt im »Völkischen Beobachter« muss er in der »Frankfurter Allgemeinen« blättern. Zu seinem Glück nimmt sich ein Kioskbesitzer seiner an und vermittelt ihn als originellen Hitler-Darsteller an eine Fernsehproduktion. Dort soll er in eine Satireshow eingebunden werden.

Der wieder auferstandene Schnurbart will »das Heft des Handelns« ergreifen und setzt alles daran, erneut eine Erweckungsbewegung des deutschen Volkes zu starten. Immerhin hat er das bereits einmal erfolgreich geschafft, und da ihn auch damals die Pressezaren unterstützen, fühlt er sich zwischen Privatfernsehsendern und BILD-Zeitung gleich wieder in bester Gesellschaft. Im bizarren Hier und Jetzt will er den Kampf aufnehmen. Dabei versucht er, der neuen Welt, die ihn mit »Meesta« statt mit »Mein Führer« anredet, verständnisvoll zu begegnen. Schließlich waren die Leute in den Jahrzehnten seiner Abwesenheit »unablässig aus der Suppenkelle der Demokratie mit einem verbogenen marxistischen Geschichtsbilde übergossen« worden.

Mit einer Assistentin der Filmbude, die ihn unter ihre Fittiche nimmt, eröffnete er eine neue Reichskanzlei. Er lässt sich mit »Guten Morgen, mein Führer« zackig grüßen und in die Geheimnisse des Computers einweisen. Bald wird er als Witzfigur in die Schau eines türkischstämmigen Comedians eingebaut. Über YouTube erlangt der »irre YouTube-Hitler« mit seinen völkischen Reden bald Berühmtheit, zumal ihn ein Großteil der Zuschauer ernst nimmt. Seine ausländerfeindlichen Tiraden begeistern sogar. Nachdem er mit einem Fernsehteam bei der NPD einmarschiert und dort den verweichlichten Geist derjenigen geißelt, die in seinem Namen agieren, schafft er den medialen Durchbruch.

Überzeugend versteht es der Autor, alles aus der Sicht des »Führers« zu beleuchten. Eines Tages wird »Onkel Wolf« beispielsweise durch das Getöse eines Laubbläsers aus dem Schlaf gerissen wird und schaut aus dem Fenster. Ein Blick auf die umstehenden Bäume verrät ihm, dass es sich um einen ausgesprochenen windigen Tag handelt. Er ist, so viel lässt sich eindeutig erkennen, völlig unsinnig, an jenem Tage Laub gezielt von irgendwo nach irgendwo anders hinblasen zu wollen. Doch er bewundert den Laubbläser, hat dieser doch einen Befehl bekommen, den er in fanatischer Treue ausführt. Er erfüllt tapfer und stoisch seine Pflicht, so sinnlos sein Wirken bei dem Wind auch sein mag. »Wie die treuen Männer der SS«, meint Hitler und eilt hinaus, um den Mann zu danken: »Für Menschen wie Sie führe ich meinen Kampf fort. Denn ich weiß: Aus diesem Laubblasegerät, ja aus jedem Laubblasegerät in diesem Lande strömt der glühende Atem des Nationalsozialismus«. Genau das sei der fanatische Wille, den das Land brauche …

Fraglos ist es ein geschickter Zug, aus der Perspektive des überzeugten Nationalsozialisten Politik und Gesellschaft zu betrachten und entsprechend gnadenlos zu kritisieren. Egal, was der Widerauferstandene sagt, es wird schließlich unter Humor subsumiert und entzieht sich einer über alles wachenden »political correctness«. Doch die Quintessenz des Romans, wonach »damals« nicht alles schlecht war, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn je weiter wir im Buch der Geschichte voranblättern und uns von der Nazi-Zeit entfernen, desto harmloser scheinen die Verbrechen jenes Terrorregimes. Klar, da wurden ein paar tausend Juden ausradiert, aber der Führer war doch eigentlich ein kauzig-schräger Typ, den man in seiner Andersartigkeit sogar lieb gewinnen kann.

Dieses Buch ist gefährlich gut. Es betreibt mit den Mitteln der Komik Verharmlosung. Es hilft, Adolf und seine braunen Schatten als Biedermänner auferstehen zu lassen. Es dient weder der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, noch leistet es einen Beitrag, dem Wiedererwachen des Faschismus einen Riegel vorzuschieben. Im Gegenteil: Das Lachen über den »komischen« Hitler, der wieder auf die Bühne steigt (und sein Geist ist ja inzwischen tatsächlich längst wieder da) dient der Bagatellisierung eines Massenmörders und seiner Gesinnung. Deshalb schmeckt mir die Lektüre nicht, wenngleich ich an vielen Stellen laut lachen musste.

Nachtrag


Deutscher Kinostart des Buches aus dem Jahre 2012 war der 8. Oktober 2015.

 


Genre: Romane

Er ist wieder da

Er ist wieder da - der RomanHätte mein Sohn dieses Buch schon gelesen, sein Kommentar wäre: “Was für eine kranke Scheisse!”. Nicht falsch verstehen, das ist in Jugendsprech derzeit ein Maximalkompliment. Die kranke Scheisse scheint auch anderen zu gefallen, seit Wochen ist Er ist wieder da -der Roman von Timur Vermes ganz oben in sämtlichen verfügbaren Bestsellerlisten.

Ein Mann erwacht orientierungslos auf einem Berliner Trümmergrundstück. Er braucht nicht lange, dann fällt es ihm wieder ein: Er ist Adolf Hitler, der selbsternannte GröFaz. Daran erinnert im Jahre 2011 allerdings lediglich seine Uniform. Keine Eva ist in Sicht, kein Reichsmarschall, kein Führerbunker und warum steht auf dem Rückenteil des unweit seines Erwachungsortes kickenden Hitlerjungen bloß Ronaldo? Es muss allerhand passiert sein, während er geschlafen hat – sogar die Achse Berlin-Ankara scheint endlich zu einem erfolgreichen Bündnis gekommen zu sein, stellt er schnell fest bei einem ersten Spaziergang durch die Reichshauptstadt. Das hätte er Goebbels gar nicht zugetraut. Derart ermutigt stellt er sich tapfer den Herausforderungen der neuen Zeit, begeistert sich schnell für die neuen Medien, gerät zufällig in ein Casting und reüssiert höchst erfolgreich als Fernsehstar mit einer eigenen Show. Nur dass er öfter mit diesem Stromberg verwechselt wird, das stört ihn schon noch etwas.

So geht es munter weiter im Überraschungserfolg des Herbstes. Vernes lässt Hitler als Ich – Erzähler agieren und nutzt diese Konstellation zu einem verbalen Rundumschlag gegen bundesdeutliche Wirklichkeiten. Wenn ein Autor als Adolf Hitler spricht, lädt das ja nun nachgerade dazu ein, ohne Rücksicht auf irgendwen oder irgendwas hemmungslos an nichts ein gutes Haar zu lassen. Ob es der feine Herr Rossmann ist, der zu fein ist, sich selbst hinter seine Ladentheke zu stellen oder dieser dilettierende schlitzäugige Gesundheitslehrling aus dem sogenannten Kabinett. Selbst die heiligsten Kühe unserer Republik werden so gnadenlos geschlachtet. Kleine Kostprobe? Vermes aka A.H. über Helmut Schmidt: “dieser Mann etwa hat absolute Narrenfreiheit und kann Blödsinn reden noch und noch. Man setzt ihn in einen Rollstuhl, wo er in ununterbrochener Reihenfolge Zigaretten abbrennt und …. die schlimmsten Allgemeinplätze verkündet…… dann stellt sich heraus, dass sich sein Ruhm lediglich auf zwei läppische Taten gründet, nämlich dass er im Fall einer Hamburger Sturmflut die Armee zu Hilfe rief, wozu man kein Genie sein muss, und dass er den entführten Schleyer kommunistischen Verbrechern überlassen hat, was ihm sogar gesinnungsmäßig entgegen gekommen sein dürfte.” Noch Fragen? So geht es das ganze Buch. Es gibt keine Klarstellung, nichts, es gibt nur die Sicht Adolf Hitlers. Die NPD kriegt ihr Fett übrigens auch ab, das sind für ihn nur halbgare verpickelte Jüngelchen, derer man sich schämen muss.

Natürlich ist es allerdünnstes Glatteis, auf das sich Vermes da begibt. Aber es hält. Er beherrscht die Gratwanderung, einerseits alles aus der Perspektive Hitlers zu schreiben, andererseits keinen Moment vergessen zu lassen, dass man hier Satire in den Händen hält. Natürlich ist es eigenartig, mit Hitler zu lachen und nicht über ihn, natürlich bleibt einem das Lachen ständig im Halse stecken, weil man sich so oft bei zustimmendem Nicken ertappt. Und natürlich ist es bei allem Witz, aller Schlagfertigkeit auch verstörend und erschreckend, wie plausibel der Roman rüberkommt.

Allerdings: Es ist aus berufenen Mündern zu hören, dass Timur Vermes den Duktus des A.H. sehr gut getroffen habe. Das ist sicher eine der Stärken des Romans, zugleich aber auch seine größte Schwäche. Denn mal Hand aufs Herz – alle political correctness, die ganze Thematik ruhig mal außer Acht gelassen, wenn A.H. ins Schwafeln geriet, war es definitiv ermüdend. Und genauso geht es einem im Buch immer wieder, dass man denkt: mach hinne, komm zum Punkt. Ich will wieder was Witziges lesen.

Fazit: lesenswert. Schon alleine, weil sich mit Timur Vermes endlich mal jemand traut, Adolf Hitler als das darzustellen, was er neben allem anderen wohl auch war: Ein attraktives, verführerisches Massenphänomen und dadurch zu zeigen, wie groß die Gefahr wirklich ist, dass ein Land so einem Wahnsinnigen jederzeit wieder erliegen könnte.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane