Die Dame mit dem Hündchen

Ein leidenschaftsloser Zeuge

Der unter dem Titel «Die Dame mit dem Hündchen» erschienene Band von Anton Tschechow vereinigt eine Auswahl von dreizehn der späten Erzählungen aus dem Œuvre des berühmten russischen Schriftstellers. In vielen verarbeitet er dabei eigene Erfahrungen als Arzt und übt unverhohlen Kritik am feudalen System des zaristischen Russlands, er prangert aber auch den Stoizismus seiner Landsleute an, die all das Unrecht passiv über sich ergehen lassen – oder im Suff ertränken. Diese im Stil des Realismus verfassten, melancholischen Erzählungen beschreiben eine genau beobachtete Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit, ohne sie moralisch zu werten. Sie stellen vielmehr psychologische Studien dar, die – oft unvermittelt – ziemlich ratlos enden. Als Literat sieht Tschechow sich dabei als «leidenschaftsloser Zeuge», wie er in einem Brief schrieb, nicht als Deuter des Geschehens.

Die Sammlung beginnt mit der titelgebenden Erzählung, die zu den berühmtesten Ehebruchsgeschichten der Weltliteratur gehört. Allein auf Urlaub in Jalta, trifft ein Bankangestellter auf eine junge, ebenfalls allein Erholung suchende Frau, deren Hündchen der höchst willkommene Anknüpfungspunkt zum Anbandeln ist. Beide sind unglücklich verheiratet, eine typische Kurschatten-Konstellation also mit erwartbaren Folgen und ebenso erwartbarem Ende. Hier jedoch stellt sich nach der Heimkehr schon bald heraus, dass sie beide nicht voneinander lassen können. «Wie könnte man sich von diesen unerträglichen Fesseln befreien?», fragen sie sich ratlos. Auch in «Angst» geht es um den Ehebruch des Ich-Erzählers mit der Frau seines besten Freundes, der sie in einer eindeutigen Situation überrascht. Entsetzt flüchtet der Ehebrecher und sieht den Freund und seine Frau nie wieder: «Man sagt, sie lebten weiterhin zusammen». Unglücklich endet auch die Liebe eines Malers zur jüngeren von zwei ungleichen Schwestern, die im Giebelzimmer des elterlichen Hauses wohnt, unerreichbarer optischer Fixpunkt des Verliebten. Ebenfalls tragisch endet «Irrwisch», die Geschichte einer flatterhaften Künstlerin, die erst am Sterbebett ihres vermeintlich langweiligen Mannes dessen wahre Größe erkennt.

Die Novelle «Eine langweilige Geschichte» ist als längster Text das berührende Resümee eines hoch angesehenen Professors der Medizin kurz vor seinem unabwendbaren Tod. Mit gedanklicher Tiefe rekapituliert der Ich-Erzähler schonungslos sein für ihn in jeder Hinsicht sinnlos erscheinendes Leben. Wobei seine Adoptivtochter Katja, die selbst beruflich und beziehungsmäßig tief in einer Krise steckt, sich als wichtigste mentale Stütze für ihn erweist. Tschechows Glaube an den Fortschritt wird auch durch seine beißende Kritik an den sozialen Verhältnissen im aufkommenden Kapitalismus nicht gemindert, wie sie in «Ein Fall aus der Praxis» süffisant zum Ausdruck kommt. Und auch in den anderen Geschichten sind immer wieder der Sinn des Lebens, die Liebe mit ihren unvermeidlichen Fallstricken und letztendlich die Suche nach dem individuellen Glück jedes Einzelnen die beherrschenden Themen.

Entwickelt wird all dies aus den glänzend charakterisierten Figuren heraus, deren Denken und Tun er, mit einem deutlich durchschimmernden Glauben an das Gute im Menschen, narrativ ins Zentrum stellt. «Die Kürze ist die Schwester des Talents» hat Anton Tschechow selbstbewusst seinen sparsamen Schreibstil begründet. Er hat nie brikettdicke Romane geschrieben wie Lew Tolstoi und war damit für die russische Literatur mindestens ebenso prägend wie Edgar Allen Poe für die amerikanische. Das Schöne an dieser Sammlung ist, dass man sie immer wieder mal zur Hand nimmt, um eine Geschichte darin zu lesen, sie ist mit ihrer breit gestreuten Figurenschar aus allen sozialen Schichten geradezu ein Kaleidoskop des untergehenden Zarismus. Die von Thomas Mann in einem Essay hoch gelobte Novelle «Eine langweilige Geschichte» war für mich das kontemplative Glanzstück einiger überaus bereichernder Lektürestunden.

Fazit: erstklassig

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Genre: Erzählungen
Illustrated by Insel Taschenbuch