Wenn ich eine Wolke wäre Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens

Das Buch beginnt Ende 1955, das Schiff legt in New York ab, Chemjo und Steven, Vater und Sohn, haben Mascha zum Abschied dahin begleitet. Nach Deutschland fährt sie allein; sie zehn Jahre, nachdem sie das Land mit der Familie verlassen musste.
Die schönste Zeit ihres Lebens hatte sie in Berlin verbracht. Studieren durfte sie nicht „für Mädchen nicht nötig“, meinte Papa. Sie dazu: „Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten/ Ich aber trat nun ins Büro.“ Nachdem Büro genießt sie das Berlin der zwanziger Jahre, geht gerne ins Romanische Café, so wie die anderen Dichter:innen. Und sie dichtete!
Im Café wurde sie angesprochen, ob sie die Gedichte nicht als Werk herausgeben wollte, Das lyrische Stenogrammheft kam 1933 (im Januar!) bei Rowohlt heraus und wurde ein Erfolg, es folgte im nächsten Jahr das „Lesebuch für Große.“
Verheiratet war sie mit Saul Kaléko, einem Dozenten für Hebräisch. Den Vater ihres Sohnes, Chemjo Vinaver, Musiker mit Schwerpunkt für synagogaler Musik, lernt sie im Romanischen Café kennen; sie lieben sich, erst heimlich. Aber, als er ihr eine Karte zusteckte (im Romanischen Café!): „Ich muss ein Kind von dir haben,“ entscheidet sich für ihn. Sohn Evjater wird geboren.
Das Leben für Juden in Deutschland wird unmöglich. Mascha wird aus der Reichsschriftkammer ausgeschlossen. Rowohlt dankt anlässlich seines 50. Geburtstages “seinen lieben Juden“ für ihre Treue, 1943 muss er den Verlag ganz aufgeben.
Sie probiert Palästina aus, wo auch ihre Familie lebt, kann sich ein Leben dort nicht vorstellen; die junge Familie entscheidet sich für die USA. Die Flucht gelingt, in letzter Minute über Hamburg, Paris und LeHavre. In New York organisiert sie die Familie, Chemjo arbeitet als Musiker, wird Chorleiter und gibt später ein Buch heraus, dessen Titelseite Marc Chagall gestaltet.
Sie verfolgen die Gräueltaten in Deutschland, sie schreibt ein Gedicht über die Konzentrationslager mit dem Schluss: “Wie hass ich Euch, die mich den Hass gelehrt.“
Doch ihre Grundstimmung ist Dankbarkeit, dass sie und ihre Familie sich retten konnten. Obwohl nicht religiös, denkt und handelt sie aus ihrem Gottvertrauen heraus.
Nachdem Deutschland befreit ist, und die Alliierten dem Rowohlt Verlag aufhelfen, plant der Verlag, Das lyrische Stenogrammheft als Rotationsroman herauszugeben. Man schreibt sie an, sie reagiert lange nicht, Rowohlts Nachfolger besucht sie in der Minetta Street, aber es wird noch Jahre dauern, bis sie darauf reagiert.
Sie verfolgen genau, welche Emigranten zurückkehren und wie sie aufgenommen werden: freundlich, solange sie nicht kritisch zur Vergangenheit äußern. So plant sie einen „Schlachteplan“ für ihr eigenes Vorgehen, als sie nach Deutschland aufbricht.
In den folgenden Jahren kann der Autor aus den Briefen schöpfen, die Mascha Chemjo täglich schreibt. In der Zeit davor zitiert er oft Gedichte, mal als Fließtext, oder in Versform.
In Deutschland ist sie ist erst in Hamburg, auch bei Rowohlt, wird rumgereicht, gelobt und gefeiert. Sie gibt Interviews etwa im großen Frauenmagazin Constance, die sie bekannt machen. Erst später kommt sie nach Berlin, und besucht ihre Sehnsuchtsorte, die sie teils in Gedichten besungen hatte: den Savignyplatz, die Bleibtreustraße oder den Frühling in Kladow. Sie liebt diese Stadt mit ihrem grünen Plätzen, den Bäumen und hofft, Chemjo würde auch kommen—er zögert; seine Briefe kennen wir nicht. Als er dann doch kommt, gibt es die Briefe nicht mehr; es lief dann alles nicht so gut, für ihn und auch für sie nicht.
Ein Grund: ihr mädchenhafter Charme, der vor allem Männer anzog, wirkte nicht mehr mit ihm an ihrer Seite. Ihre Begeisterung für ihr Berlin, von der sie in ihren Briefen dichterisch schwärmte, verblasst im Alltag. Die Verkäufe der Ausgaben bei Rowohlt enttäuschen. Der nun für sie Zuständige beim Verlag mag ihren Stil nicht, ändern kann und will sie ihn nicht.
Als ihr der Fontanepreise von der Akademie der Künste verliehen werden soll, übergeben vom SS-Mitglied Hans Egon Holthusen, lehnt sie das ab. Zwei Vertreter der Akademie suchen sie auf und verteidigen ihn—die SS-Zeit sei eine kleine Jugendsünde gewesen. Sie fragt nach Schriftlichem—es hatte doch gereicht, dass er es bekundet hatte. Dieses Gespräch protokolliert sie genau. Und in der Akademie bedauert Herbert von Butlar, der Generalsekretär der Akademie im Protokoll: “dass die unmenschlichen Erfahrungen der letzten Jahre die Juden um ihre Toleranz gebracht haben, d.h. eigentlich um ihren Charakter.“ Holthusen wird später mit Preisen überhäuft; erhält selbst das Bundesverdienstkreuz!
Für Leser:innen, die diese Zeit als Kinder erlebten, taucht erlebte Geschichte unter neuem Aspekt auf: Adenauer und Globke, der Ungarnaufstand, die Suez- und die Kubakrise, der Sechstage Krieg; Mascha erlebt es als amerikanische Staatsbürgerin, die keine Heimat hat. Wollte Deutschland sie so, wie sie war? Später werden sie auch in Israel leben.
Erst einmal kehrt sie zurück in die Minetta Street, wird wieder Hausfrau. Da hätte gut mein Lieblingsgedicht von ihr gepasst: Über „Die Leistung der Frau in der Kultur“:
„Was uns Frauen fehlt, ist „Des Künstlers Frau“
oder gleichwertiger Ersatz.“


Genre: Biographien
Illustrated by Kiepenheuer & Witsch Köln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert