Souverän erzeugter Lesesog
Zum Olymp der französischen Literatur gehört auch Guy de Maupassant, dessen Roman «Bel Ami», 1885 als Erstdruck in einer Zeitung erschienen, zu seinem erfolgreichstem Werk wurde, das bis heute in immer neuen Auflagen gelesen wird. Der dem Naturalismus zugerechnete Schriftsteller ist ja vor allem als Novellist berühmt geworden, hatte aber später als Romancier deutlich höhere Auflagen als mit den Novellenbänden. Der vorliegende, zu den Klassikern der Weltliteratur zählende Roman eines geglückten gesellschaftlichen Aufstiegs markiert auch eine Abkehr vom sonst vorherrschenden Pessimismus im Œuvre des Autors, er trägt zudem erkennbar autobiografische Züge.
In Paris trifft der ehemalige Unteroffizier Georges Duroy zufällig seinen Kameraden Forestier wieder, der im politischen Ressort einer Zeitung arbeitet. Der verhilft dem in ärmlichsten Verhältnissen lebenden jungen Mann zu einer Anstellung bei seinem Verlag und führt ihn in die Gesellschaft ein. Dank der Protektion seines Freundes macht der gut aussehende Duroy schnell Karriere, verfasst mit Hilfe von dessen Ehefrau Madeleine erste Artikel für sein Blatt und fängt schon bald ein Verhältnis mit ihrer verheirateten besten Freundin an, deren kleine Tochter ihn immer nur «Bel Ami» nennt. Durch einen Tipp seiner Geliebten, die ihn auch finanziell unterstützt, verdient er bei einer Börsenspekulation plötzlich viel Geld und kommt endlich aus seiner bedrückenden finanziellen Notlage heraus. Als Forestier plötzlich stirbt, heiratet er dessen junge Witwe, die inzwischen den größten politischen Salon von Paris führt und ihren neuen Ehemann nun nach Kräften unterstützt. Der steigt weiter die Karriereleiter hinauf und gewinnt schließlich sogar, nicht ohne Hintergedanken, die Frau seines Dienstherrn, Mutter zweier Töchter im heiratsfähigen Alter, zu seiner neuen Geliebten. Bei einem Dinner in deren neuerworbener, schlossartiger Villa keimt erneut quälender Neid in ihm auf, so möchte er auch gerne mal leben! Das Geld für das pompöse Domizil stammt zudem aus einem riesigen Spekulationsgewinn, den Tipp dazu bekam der Zeitungsboss durch eine streng geheime Information aus Kreisen der Regierung. Es reift schließlich ein perfider Plan in Duroy heran, in dem die älteste Tochter seiner neuen Geliebten die Hauptrolle spielt.
Der in der Belle Époque angesiedelte, satirisch gefärbte Roman über einen opportunistischen, charismatischen jungen Mann, dessen Attraktivität letztendlich jede Frau unwiderstehlich anzieht, schildert seine Entwicklung vom zielstrebigen, dankbaren Freund zum neidischen, geldgierigen und skrupellosen Emporkömmling. Maupassants Geschichte entlarvt auch die Doppelmoral einer Gesellschaft der Belle Époque, deren prüde Konventionen in den Beziehungen der Geschlechter penibel einzuhalten sind, die andererseits aber bedenkenlos im Geheimen missachtet werden. Genau so entlarvend wird auch die weitverbreitete, korrupte Ellenbogen-Mentalität in politischen Geschehen der Gründerzeit angeprangert. Neben der Charakterstudie des Parvenüs bekommt der Leser ebenso interessante Einblicke in das Zeitungswesen jener Zeit mit seinem kämpferischen Meinungs-Journalismus wie in das oberflächliche Pariser Gesellschaftsleben.
Deutlich kontemplativer ist hingegen meine Lieblings-Szene, ein mehrere Seiten umfassender Dialog eines desillusionierten, älteren Dichters, der dem jugendlichen Helden zu bedenken gibt: «Was erhoffen Sie sich von der Liebe? Noch ein paar Küsse, und Sie sind impotent … Und was weiter? Geld? Wozu? Um Weiber zu bezahlen? Ein hübsches Glück! Um viel zu essen, dick zu werden und nächtlich unter den Stichen der Gicht zu schreien? Und was weiter? Ruhm? Wozu, wenn man ihn nicht mehr in Gestalt der Liebe schlürfen kann? Und was weiter? Immer der Tod zum Schlusse!» Maupassants berühmte Geschichte vermag, ohne psychologische Tiefenbohrungen und moralisch zurückhaltend erzählt, äußerst souverän einen unwiderstehlichen Lesesog zu erzeugen. Chapeau!
Fazit: erstklassig
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