Verbrannte Wörter

Gibt es Begriffe, die auf eine gedankliche Nähe zum Nationalsozialismus schließen lassen oder sogar dem NS-Sprachgebrauch entlehnt wurden? Lassen sich bei Wortmeldungen aus dem rechten Spektrum der Gesellschaft ideologische Annäherungen an die Sprache der Hitleristen feststellen? Müssen Politiker, Journalisten und Autoren besonders sensibel sein, wenn ihnen bestimmte Begriffe aus der Feder fließen?

Unstrittig ist, dass die Nazis die deutsche Sprache mit eigenen Begriffen verhunzten und sich untertan machten. In diversen Abhandlungen, zum Beispiel im „Wörterbuch des Unmenschen“ sowie im unbedingt lesenswerten DDR-Standardwerk „LTI“ (Lingua Tertii Imperii = Sprache des Dritten Reiches) von Victor Klemperer gibt es zahllose Hinweise auf entsprechende Worte. Es gab grammatische und stilistische Besonderheiten und sogar spezielle Vorlieben bei der Zeichensetzung.

Wortneubildungen wie „Sippenhaft“ und „Vergeltungswaffen“, Bedeutungsveränderungen wie bei den Begriffen „fanatisch“ und „arisch“, Hochwertwörter wie „Volk“, „Rasse“ oder „Reich“ und schließlich Begriffe wie „Führer“ oder „Konzentrationslager“, deren Bedeutung verengt wurde, zählen dazu.

Die deutsche Sprache wurde in Hitlerdeutschland zunehmend militarisiert. Der Öde der sprachlichen Kasernenhöfe entsprangen zahllose soldatische Metaphern. Die herrschende Sprache wurde zur Sprache der Herrschenden. Ob von „Gleichschaltung“ (eigentlich ein Begriff aus der Physik), oder von „Menschenmaterial“ gesprochen wurde, Begriffe wurden ideologisch besetzt und sind damit nur noch in menschenverachtendem Zusammenhang nutzbar.

Matthias Heine belegt in seinem Buch „Verbannte Wörter“ anhand von 87 Beispielen, wie schwierig es ist, mit bestimmten Begriffen umzugehen. Oft stehen Ausdrücke zu Unrecht unter Naziverdacht, stellt Heine fest, während bei anderen Wörtern die Nazi-Herkunft in Vergessenheit geriet. Der Autor will mit seiner Veröffentlichung nicht im Sinne einer Sprachpolizei wirken, sondern mehr Sensibilität im Umgang mit Sprache sowie Wissen um die Geschichte von Wörtern vermitteln.

Alphabetisch sortiert von „Absetzbewegung“ bis „zersetzen“ befasst er sich detailliert mit Herkunft, Be- und Umdeutung des jeweiligen Begriffes und gibt Handlungsempfehlungen zum Gebrauch. Das Verb „entarten“ beispielsweise ist für Heine ein Wort, das so eindeutig mit dem NS-Sprachgebrauch verbunden, dass es nicht mehr zu retten ist. Auch „Euthanasie“ sei ein Wort, das „nicht entnazifiziert werden kann“. Das bereits von Nietzsche geprägte Wort „Herrenrasse“, das zum Kerngedankengut der NS-Ideologie zählt, kann heute ebenfalls nicht mehr „unschuldig benutzt werden“. Schließlich sei die Verwendung des Paradoxons „lebensunwertes Leben“ außer in historischen Zusammenhängen heute nicht mehr zu rechtfertigen, und wer von „Volksverrätern“ spreche, könne „gleich mit erhobenem rechten Arm herummarschieren“.

Die Redensart „kurzen Prozess machen“ sei zwar kein unmittelbarer NS-Wortschatz, spiegele jedoch einen Wunschtraum, der das demokratische Justizsystem verachte und sich „sprachlich auf dem Gebiet der Inhumanität“ bewege. Den Begriff „Konzentrationslager“ bzw. seine Abkürzung „KZ“ für andere Institutionen, beispielsweise eine Anlage der Massentierhaltung, einzusetzen, sei „ein verharmlosender sprachlicher Missgriff“.

Die Behauptung, der Begriff „Gutmensch“, Unwort des Jahres 2016, sei schon im NS-Wortschatz aktiv gewesen, ist hingegen ein Gerücht. Allerdings ist dieser Begriff im Lauf der letzten Jahrzehnte stark nach rechts gewandert und wird bevorzugt von neuen Nazis benutzt. Dies sollte reichen, um das Wort nicht mehr zu benutzen.

Frei gesprochen werden von Heine Wörter wie „Groschengrab“, „Eintopf“, „entrümpeln“ und „evakuieren“. Höchst problematisch hingegen sei die Vernichtungsvokabel „asozial“, die Gedankenlosigkeit und mangelnde Geschichtskenntnisse offenbare.

Lesenswert ist „Verbrannte Wörter“ für jeden, der mit Sprache und Schrift zu tun hat. Die Lektüre trägt dazu bei, sensibler auf den eigenen Sprachschatz zu achten, Stilebenen zu erspüren und seine Worte sorgfältiger zu wählen. Insofern ist das Buch eine lesenswerte Orientierungshilfe auf dem heiklen Parkett der deutschen Sprache.

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Genre: Sachbuch, Sprache, Wörterbuch
Illustrated by Duden

4 Gedanken zu „Verbrannte Wörter

  1. Vor einiger Zeit habe ich das Wort minderwertig in Bezug auf billiges Plastikspielzeug verwendet und bin deshalb in den Verdacht geraten, ein Naziwort gebraucht zu haben.Zu Recht?

    • Minderwertig ist ein Begriff, der sich in Bezug auf Menschen sicherlich als abwertend darstellt. In Spanien steht beispielsweise auf Verkehrsschildern für Behindertenparkplätze »para minusvalidos« (für Minderwertige) und daran wird klar erkennbar, wie abgewertet wird.

      Es ist nicht das Wort an sich, es ist der Zusammenhang. In Bezug auf Spielzeug ist das ein klares Qualitätskriterium, da wird eben viel Schrott produziert.

      • Sicher? Erhebliche Zweifel sind an Ihrer typischen germanozentrierten Sicht auf die Dinge dieser Welt angebracht! Das valide kommt von stark, kräftig … Und wie kommen Sie dazu, den Spanierinnen und Spaniern eine solche Abwertung zu unterstellen?

        • »valido«wird in allen gängigen Wörterbüchern mit »rechtsfähig«, »gesund«, »arbeitsfähig« usw. übersetzt. Im Zusammenklang mit dem »minus« entsteht ein Begriff, den wir gern mit »behindert« übersetzen. In Spanien selbst gibt es erhebliche Bestrebungen, den Begriff zu vermeiden und die Schilder auszutauschen.

          Was das mit meiner von Ihnen diagnostizierten »germanozentrierten Sicht« zu tun hat, erschließt sich mir leider nicht.

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