Bettler und Hase

BettlerundHaseKapitalismus, internationale Kriminalität, Menschenhandel sind im Allgemeinen nicht gerade die Zutaten, aus denen Märchen gestrickt sind. Sie sind aber der Nährboden, aus dem die Sehnsucht nach ihnen erwächst. Die Sehnsucht nach wundersamen Begebenheiten, nach einer klaren Trennung von Gut und Böse, nach aufrechten, gerne auf den ersten Blick schwachen Helden, die Auseinandersetzungen mit heimtückischen Kräften überstehen und zum Schluß den Triumph über das Böse feiern. Solch ein Märchen hat Tuomas Kyrö, ein in seiner Heimat Finnland renommierter und preisgekrönter Autor der jüngeren Generation, mit Bettler und Hase geschrieben.

Sein Held, der rumänische Bettler Vatanescu möchte eigentlich nichts als ein arbeitsames, auskömmliches Leben führen und einmal in seinem Leben so weit kommen, dass er seinem Sohn die ersehnten Stollenschuhe kaufen kann. Gar nicht so leicht in einer Zeit, “in der Gott die ganze Welt verlassen hat und in die nächste Galaxie umgezogen ist.” Naiv und mutig zugleich vertraut Vatanescu dem Menschenhändler Jegor und lässt sich von ihm nach Finnland schleusen. Dort muss er die durch den Transfer entstandenen Schulden bei Jegor durch organisierte Bettelei abarbeiten. Hunger und Ungerechtigkeit lassen ihn aufbegehren und er macht sich alleine auf zu einer abenteuerlichen Odyssee durch Finnland. Lange bleibt er nicht alleine. Er rettet einen Hasen, der eigentlich ein Kaninchen ist und tut in der Folge gut daran, sich von diesem leiten zu lassen. Denn Vatanescu weiß nicht immer, “was er vom Tag bekommen wird. Oder was er ihm abnehmen darf.” Dafür weiß es aber das Hasen-Kaninchen und tut in kritischen Momenten immer genau das Richtige.

Auf ihrer gemeinsamen Suche nach dem Glück begegnen sie fleißigen Vietnamesen, kriminellen Ukrainern, trinkfesten Nudisten, verlieben sich in eine Zauberkünstlerin und baden die Folgen des guten Willens überambitionierter Polit-Aktivisten aus. Immer aber begegnen sie auch Menschen, die ihnen helfen, die es gut mit ihnen meinen und so wird Vatanescu zu einer Art finnischem Forrest Gump. Einem Forrest Gump 2.0. noch dazu, denn das Internet und seine sozialen Medienwege spielen eine nicht unerhebliche Rolle bei seinem Aufstieg. Ohne sich dessen bewusst zu sein, durchlebt Vatanescu auf seinem Weg den klassischen Karriereweg des kapitalistischen Way of dream. Vom Bettler über Tellerwäscher zum Beerensammler zum Bauarbeiter zum ….. das wird hier nicht verraten. Nur soviel: den weißen Ritter gibt der finnische Ministerpräsident, der in einer eigenwilligen Mischung aus Karrieregeilheit, Berechnung und wahrhaft empfundener Menschenfreundlichkeit die Rolle des Pragmatikers im Märchen besetzt. Ein Mann, der weiß, dass man “Rückenschmerzen nicht vom Arbeiten, sondern vom Buckeln bekommt” und danach lebt.

Es ist ein modernes Märchen, ein Schelmenstück aus einem fernen Land, welches Tuomas Kyrö vorlegt. Bettler und Hase wird in der Kritik oft mit dem “Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg” verglichen. Diesen Vergleich kann man ziehen, doch er stimmt nur bedingt. Bettler und Hase reiht sich zwar ein in die mit einem Augenzwinkern geschriebenen Road-Movies von Menschen am Rande der Gesellschaft. Aber Vatanescu ist wesentlich einsamer, fatalistischer, anspruchsloser, forrest-gumpiger als der Hundertjährige. Kyrös Buch setzt weniger auf Humor denn auf satirische Gesellschaftskritik und spürbaren Sarkasmus. Den Hundertjährigen las man mit einem wohlwollenden Schmunzeln, bei Kyrö weiß man trotz des utopisch visionären Happy Ends nicht, ob man lachen oder weinen soll. Dazu trägt sicher bei, dass die Geschichte nicht durchgängig aus Vatanescus Sicht erzählt wird, sondern auch Menschenhändler Jegor eine Stimme bekommt. Für Jegor beginnt mit dem Aufstieg Vatanescus der Abstieg in seiner kriminellen Organisation und er endet schließlich im Gefängnis, wo er mit seinen Memoiren beginnt und seinem Schicksal hadert, denn “Unsereiner hat auch erfolgreich Häschen in ganz Europa verkauft – wo ist da der Unterschied?” Schließlich ist seinereiner kein Opfer, er macht welche.

Trotzdem ist das Buch angenehm zu lesen, Kyrös Schreibstil ist ein entspannter. Gelegentlich überspitzt er, in Summe bleibt er aber charmant, was den Kontrast zu den geschilderten Mißständen nur umso deutlicher hervorhebt. Seine Sicht auf die Menschen bleibt warm und humorvoll. Ab und an schießt er damit übers Ziel hinaus, vor allem, wenn er auf sich selbst als den “allwissenden Erzähler” verweist. Das hätte er sich ruhig sparen können, an diesen Stellen entsteht der Eindruck eines eher halbherzigen Versuchs, das Ganze zusätzlich noch auf die derzeit so beliebte Meta-Ebene zu hieven. Hätte Kyrö, hätte das Buch nicht nötig gehabt. Unterm Strich ist Bettler und Hase ein ebenso scharfsinniges wie schräges Buch, eben ein modernes Märchen, welches seinen Auftrag durchaus erfüllt. Denn wie sagt es der weiße Ritter im Buch: “Die Verbindung von Weinen und Lachen gibt den Menschen Glauben und Hoffnung. Daraus besteht das Leben. Aus Träumen, Glauben, Hoffen.”

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Romane
Illustrated by Hoffmann und Campe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert