Märchen aus Mallorca

Ludwig Salvator war ein komischer Kauz. Der exzentrische Erzherzog von Österreich und Prinz von Toskana hatte keinen Spaß an Amtsgeschäften und höfischen Zeremonien. Er befasste sich lieber mit dem Studium der Natur, diverser Sprachen und Dialekte sowie mit seinem Schimpansen »Gorilla«.

Als Besitzer eines »Kapitänspatentes der langen Fahrt« unternahm er mit seinem Schiff »Nixe«, auf dem er eigentlich lebte, ausgedehnte Forschungsreisen in den Mittelmeerraum. Im Gefolge einer farbenfrohen Schar von Freunden, Hunden, Katzen, Vögeln, Affen und allerlei anderem Getier erkundete der vom Hochadel als »verkappter Kommunist« bezeichnete unkonventionelle Liberale zahlreiche Inseln im Ionischen Meer und bereiste auch die Balearen.

Vor allem Mallorca hatte es dem »Archiduque« angetan. Insofern ranken sich bis zum heutigen Tage Legenden und Anekdoten um den ungekrönten König der Balearen, dessen besondere Markenzeichen ein ausschweifendes Liebesleben und äußerst nachlässige Kleidung waren. Er bewegte sich lieber in der Gesellschaft einfacher Menschen, »von denen man oft mehr lernen könne, als von so manchem Gelehrten«, und legte auf sein Äußeres keinen besonderen Wert.

Dabei war der Paradiesvogel von einem extremen Sammel- und Dokumentationstrieb erfasst, der seine Bedeutung für unsere Zeit ausmacht. Ab 1869 legte er ein aus sieben Einzelbänden in neun Folianten bestehendes, etwa 6.000 Seiten umfassendes Monumentalwerk »Die Balearen. In Wort und Bild geschildert« vor, für deren erste beiden Bände er auf der Pariser Weltausstellung 1878 die Goldmedaille erhielt. Diese Monographie enthält Beschreibungen von Tieren, Pflanzen, Meteorologie, Geschichte, Volkskunde, Architektur, Landschaftsbeschreibungen bis hin zur detailreichen Schilderung der Bevölkerung, ihrer Gebräuche, Lieder und Gedichte. 1897 erschien eine zweibändige Volksausgabe (Die Balearen. Geschildert in Wort und Bild) mit den wichtigsten Illustrationen und Texten.

Unter anderem sammelte der eifrige Erzherzog auch Märchen und Anekdoten aus Mallorca, die in diesem Band versammelt sind. Dabei differenzierte er die eigentlichen, oft umständlich erzählten Märchen (»Rondayes«), die kürzeren Erzählungen oder »Cuentos« und die »Fets«, wahre Ultra-Kurzgeschichtchen, die manchmal auch als »Cuatre Mots« oder vier Worte bezeichnet werden. 54 dieser Geschichten sind in diesem Elektrobuch versammelt. Die Ausgabe ist identisch mit der kostenfreien Online-Ausgabe der Märchen bei Zeno.org.

Bei allem Respekt für den von mir sehr geschätzten Christof Link, Herausgeber der Rondayes und Betreiber eines Mallorca-Blogs: Es hätte an dem gemeinfreien Werkes gearbeitet werden müssen. So wäre es sinnvoll, die Erzählungen in modernes Hochdeutsch zu übertragen, offensichtliche Fehler zu korrigieren und mit erläuternden Anmerkungen zu versehen. In der vorliegenden Form wirkt vieles unverständlich und lässt sich aus dem Kontext selbst für Inselkenner kaum erschließen. Eine redaktionelle Einführung wäre des Mindeste gewesen.

Ludwig Salvators Werk hätte diese Arbeit verdient.


Genre: Sagen und Fabeln
Illustrated by Kindle Edition

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