Aus einem kleinen Kaff im Sauerland bricht die 21-jährige Marleen Richtung Kanada auf, um ihre Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer zu stillen. Ihre Reisetasche birgt ein paar Klamotten, ein Ticket nach Vancouver, eine bescheidene Barschaft und ihren Talisman, einen roten Granat. Dieser Granat soll sie auf ihrer Reise in die unbekannte Ferne beschützen und ihr Glück bringen.
Autorin Gaby Dallas beschreibt in ihrem Roman »Nie weit genug« ihr eigenes Leben, eigene Erfahrungen und Reisen, die sie prägten. Dabei schafft sie es, einen gesunden Abstand zu ihrem Alter Ego zu wahren und umschifft damit die erste große Klippe, an der die meisten Autoren autobiografisch gefärbter Texte Schiffbruch erleiden.
Die Reise ins Ungewisse startet 1982 und führt die junge Frau über Kanada und die Vereinigten Staaten nach Mexiko, wo sie mit Machos, Drogen und Alkohol konfrontiert wird. Sie kommt unbekümmert und mit einem erstaunlichen Schuss Naivität voran, bis sie ihr Herz an einen Drogendealer verliert. Die gelebte Unabhängigkeit schrumpft auf Null und wird auf die Abhängigkeit von einem Mann reduziert, der sie nach Strich und Faden ausnimmt, in kriminelle Handlungen verstrickt und letztlich sitzen lässt. Dabei hat Marleen sogar noch Glück, denn andere hübsche junge Frauen, die sie auf ihrer Reise kennenlernt, verschwinden aufs Nimmerwiedersehen.
Ohne Geld und mit einem abgelaufenen Visum versucht Marleen, sich nach Mexico City durchzuschlagen, um mithilfe der deutschen Botschaft nach Deutschland zurückkehren zu können. Dazu begleitet sie einen Guerillakrieger, der sie als Drogenkurier missbraucht und ihr die letzte Freiheit raubt. Der verzweifelte Versuch, auszubrechen und nach Europa zurückzukehren, bildet den eigentlichen Höhepunkt des langsam anlaufenden, insgesamt aber äußerst spannungsreichen Romans, der im letzten Drittel Züge eines Thrillers annimmt.
Marleens Schicksal steht stellvertretend für viele junge Leute, die sich nach Freiheit und Abenteuer sehnen und dabei in Kauf nehmen, ihre Gesundheit und auch ihr Leben zu riskieren.
Dabei hinterfragt die Autorin nicht, warum dieser starke Drang besteht, auszubrechen und in eine unbekannte Ferne zu fliehen, die ein angeblich besseres Leben verspricht. Für Marleen jedenfalls geht es gemäß dem Titel des Werkes nie weit genug hinaus, wobei sie schließlich wieder umkehrt, um in ihr altes, sicheres Leben zurückzugehen. Da sich dort vermutlich ihre innere Unzufriedenheit erneut melden wird, ist die nächste Reise vorprogrammiert, und so bildet der Roman von Gabi Dallas auch nur den ersten wilden Lebensabschnitt einer insgesamt zehnjährigen Odyssee ab, die in einem dreibändigen Werk ihren Niederschlag finden soll. Somit bleibt noch Zeit für die Sinnsuche und das Hinterfragen der Ursachen ihres Reisefiebers.
Für ihren Erstling gebührt Gabi Dallas Lob und Anerkennung. Fast scheint es, als habe sie ebenso unbekümmert drauflos geschrieben, wie sie gereist ist: positiv, arglos und mit einer Riesenportion Glück im Gepäck. Auf die beiden Folgebände darf man gespannt sein.
Ein unglaubliche Geschichte von einer interessanten Frau, die ich auf der Leipziger Buchmesse kennenlernen durfte. Ich bin schon auf die weiteren Bände gespannt und drücke die Daumen für einen gelungenen Schreibprozess!