Wer die schwedische Sci-Fi-Serie »Real Humans«gesehen hat, findet schnell Zugang zu Emma Braslavskys Roman »Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten«. Er weiß, dass »Hubots«für »Human Robots« steht und hat eine Vision davon, wie stark Künstliche Intelligenz in naher Zukunft das Zusammenleben der Menschen verändern wird.
Protagonistin des Romans ist der Hubot (gendertechnisch korrekt eigentlich: die Hubotin) Roberta, eine künstliche Arbeitskraft mit »abgetörnter Weiblichkeit«, die als Ermittlerin einer Spezialeinheit der Kripo zugeteilt wird.
Aufgabe dieses Kommissariats ist das Aufspüren zahlungspflichtiger Angehöriger freiwillig aus dem Leben geschiedener Menschen. Deren Zahl ist mit täglich 50 in enorme Höhen geschnellt, ohne dass klar wird, warum das so ist. Nun ist Berlin, hier spielt die Geschichte, nicht nur immer noch sexy, sondern inzwischen bettelarm und außerstande, die Beisetzungskosten aus der Staatskasse zu begleichen, findet sich denn kein Angehöriger. Auf dieser dünnen Prämisse entwickelt die Autorin ihre Geschichte vom Hubot-Ermittler, der beweisen soll, dass der Einsatz von Automaten-Menschen wirtschaftlicher ist als der Einsatz echter Menschen.
Die Beantwortung der Frage liegt auf der Hand. Durch allumfassenden Netzzugriff, ein grenzenlos speicherndes Festplattenhirn, sofortigen Abgleich von Fingerabdrücken, Zugang zur Bild-Reverse-Suche und Recherchemöglichkeiten in allen denkbaren Datenbanken erstellt Roberta, die zu ihrem ersten Fall gerufen wird, in relativ kurzer Zeit ein umfassenderes Profil des jungen Mannes, der als Wasserleiche an Land gespült wird, als dies einem menschlichen Rechercheur je möglich wäre. Sie zerlegt die Partitur eines Hackbratens in ein biochemisches Strukturwerk und filtert aus Datenschlamm ein Psychogramm des Verstorbenen. Ihrer Aufmerksamkeit entgeht nichts.
Allerdings findet sie im Ergebnis niemanden, der bereit wäre, die Beisetzungskosten zu übernehmen. So entwickelt sich zwar ein Lebensbild des Verstorbenen, des Milieus, in dem er lebte, sowie seiner Familie. Ein Identitätskonflikt wird sichtbar. Doch gelöst im Sinne der Aufgabenstellung wird der Fall nicht.
Visionen einer nahen Zukunft
Fraglos bedient die Autorin den Literaturtrend zu Visionen der nahen Zukunft. Doch anders als Ian McEwan, der mit »Maschinen wie ich« tief philosophische Fragen aufwirft und auf vergnügliche Weise das Thema Künstliche Intelligenz vor großem Hintergrund verarbeitet, stellt sich bei Emma Bratislavsky die Frage, was die Autorin dem Leser sagen will. Denn was soll eine Geschichte, die größtenteils vorhersehbar verläuft und auf die Spannung eines klassischen Krimis verzichtet?
Die mit viel Pink vorgenommene Gestaltung des Covers lässt auf einen Liebesroman, eventuell einen Soft-Porno schließen. Das bietet Emma Braslavsky jedoch nicht. Auf der Buchrückseite ist dafür eine offenbar provokant verstandene Frage abgedruckt, die als Wegweiser dienen mag. »Wovor habt ihr denn mehr Schiss. Vor einer intelligenten Frau oder vor einer intelligenten Maschine«, heißt es dort, und diese Fragestellung führt in medias res.
Emanzipierte Frauenliteratur
»Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten« ist das Buch einer Autorin, die sich offenbar der emanzipierten Frauenliteratur verschrieben hat. Sie stellt mit Roberta einen weiblichen Charakter vor, die kein Objekt sein kann, weil ihr die entsprechende Programmschleife fehlt. Der Hubot wirkt damit noch stärker als ihr weibliches Pendant, die menschliche Kripobeamtin, die sich eine harte Schale zugelegt hat, um ihren weichen Kern vor dem männlichen Zugriff schützen zu können.
Berlin wird als kokettes Püppchen dargestellt, als »Bitch«, die mit eitlen Schaufenstern voll blitzblanker Technologien »die Abhängigkeit der Männer von der Vulva überspielt«und den Anschein erweckt, dass sie unter ihrer Kontrolle war. Vertuscht werden soll, »dass es von Natur aus keine real existierende Männerwelt gab – weil die Macht der Natur mit der Macht der Erotik eigentlich an jede einzelne Frau übergeben worden war, die damit den Fortgang der Menschheit steuern konnte.«
Hubot Roberta erkennt die Frauen als die von der Natur bestimmten Kapitäne auf dem gigantischen Schiff namens Menschwerdung. Nur sie hätten deshalb »den Anspruch auf ein echtes Geschlecht, sie hatten ein mächtiges, kreatives Organ bekommen, dem sich die Männer wie Sklaven unterzuordnen hatten.«
Männer hingegen mussten die Macht ihres Geschlechts erst künstlich erschaffen, um sich von der Herrschaft des Weiblichen zu befreien. »Sie erfanden ihr eigenes Kontrollsystem, die Religion, die Zivilisation und mit ihnen das Patriachat, eine „männliche“ Macht, die ihnen von „Mutter Natur“ nicht zugeteilt worden war.«
Feministische Gesinnungsprosa mittelalterlicher weißer Frauen ist also der Kern des sprachlich gewandt verfassten Romans. In der aktuellen Debatte um gendergerechte, von Mikroaggressionen befreite, politisch korrekte Literatur bietet der Roman damit die beste Voraussetzung für einen Literaturpreis.
Verblüht, verblitzt und verschroben
Anstatt dem sexy und verarmten Berlin haufenweise Selbstmoerder herbei zu phantasieren, hätte es einem phantastischen IA-Frauenroman sicher besser gestanden, Chicago, New York oder sonstwo in Amiland den Hintergrund für das Geschehen im Buch zu wählen. Schlicht, weil USA schon jetzt rund 22 Selbstmoerder am Tag produziert. Wenigstens irgendwas Realistisches in einem fiktiven Roman, wo selbst das IA-Kripo-Cyberweibchen versagt.