Devil in a Coma

“Devil in a Coma. A memoir” von Mark Lanegan

Devil in a Coma. A Memoir. “It’s hard to know where you are when you’re trying to read a map by the light of a falling star.” Kurz vor Mark Lanegans Tod erschien seine Autobiographie “Sing backwards and Weep” (deutsch bei KIWI) und vorliegendes “memoir”, so der Untertitel. “Devil in a Coma” beschreibt Lanegans Covid-Erkrankung  und die (vorläufige) Genesung. Der Text ist einerseits Prosa, andererseits Poesie, denn einige seiner letzten Gedanken schreibt er in Gedichtform. Bei Erscheinen des Buches 2021 war noch nicht klar, dass er (so schnell) an den Folgen der Pandemie sterben würde.

Abschied von einer Legende

A memoir” ist insofern ein gut gewählter Untertitel, weil er noch einmal daran erinnert, welchen großen Künstler die Welt in Mark Lanegan versorgen hat. Als Sänger der Seattle-Band “Screaming Trees” wurde er bekannt, durchgesetzt hat sich sein Talent aber vor allem in seinen Soloalben und unzähligen Kollaborationen mit den besten Künstlern der Rock- und Undergroundszene des 20. und 21. Jahrhunderts: Kurt Cobain, Pearl Jam, Marianne Faithfull, Moby,  Queens of the Stone Age, UNKLE, Greg Dulli, PJ Harvey oder Isobell Campbell, to name only a few. Legende sind aber auch nicht nur seine Alben und seine Reibeisenstimme, sondern auch sein Drogenkonsum, den er in “Alles Dunkel dieser Welt” (KiWi 2021/22) ebenso lakonisch wie lässig ausgiebig beschrieb.

Devil in a Coma. A memoir.

Aber beim Verfassen seiner Autobiographie und von “Devil in a Coma” war dies alles lange her, 15 Jahre schreibt er an einer Stelle und fügt gleich hinzu, dass ihm das sowieso niemand glauben würde. Seit Saint Paddy’s Day 2021 war Lanegan in der Kerry Klinik in Irland interniert. Neben der schwachen Lungenfunktion und Nierendysfunktion von nur mehr 30% litt er unter Gehunfähigkeit, Verlust des Geschmacksinns, was ihn 25 Pfund verlieren ließ, sowie Taubheit. Als lebensrettende Maßnahme hätte ein Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) durchgeführt werden soll, wozu seine Frau Shelley aber die Zustimmung verweigerte. “Whatever was in this shitwagon I’d caught a ride on, it was no fucking joke“, kommentiert Lanegan seinen körperlichen und bald auch seelischen Zustand. Denn instinktiv begreift er, dass “this is clearly the fall I won’t get up from“. Erschwerend hinzu kam, dass all die niedrigen Dosen der Schmerzmittel, die ihm verordnet wurden, nichts mehr bewirkten, da sein Körper schon von seinem Vorleben Elefantendosen davon gewohnt war.

Devil in a coma: “I finally made it home

“Devil in a coma” wird zu einem erschütternden Bericht eines Menschen, der sich vom Leben lossagen muss, obwohl er gerade erst seine Heimat in Irland gefunden hatten. Obwohl er das kalifornische Klima vermissen würde, war sein erster Gedanke bei der Ankunft in Irland: “I felt like I hat finally made it home“. Absurderweise stammte auch seine Ursprungsfamilie väterlicherseits aus dieser Gegend Irlands, aber sie wanderten nach Amerika aus. Eigentlich wollte Mark mit Shelley noch weiter nach Portugal, um sich dort endlich niederzulassen, aber das Schicksal hielt ihn am Ort seiner Wurzeln fest. “Music was no longer my friend“, so schlecht ging es ihm und er macht sich Gedanken über seine Beziehungen in denen er immer verlassen wurde, aber stets war er sofort wieder in einer anderen Geschichte: “as one thing ended I was already into something else. I was natural at losing (…).”

The Darkest Part. A memoir.

Mark Lanegan spricht offen über seine schlechte Beziehung zu seiner Mutter, aber auch zur Welt an und für sich. “I’ve always had a bad habit (…) the tendency to mirror my surroundings with my mood“. “Lanegan is the Titanic, you’d better get off before he goes down”, warnte sein Manager schon vor Jahren eine Freundin von ihm. “The truth is I could turn brilliant sunlight dark as the grave with my deadly Powers of Perzeption. I guess it’s all in how you choose to Look at things.” Letzteres mag vielleicht auch ein Rat gewesen sein, es nicht so wie er zu machen. In einem Gedicht, The Darkest Part, bringt er es noch pointierter: “(…)I’ve struggled to love life/ (…) and though I have often failed /and will again/God knows the Better Part of me.

Pete Townshend School of Thought

This is the price I have paid for stubbornness and recalcitrance“, schreibt er, in his “endless search what I was never going to find“. Aber er bedankt sich noch bei jenen, die immer für ihn da waren, egal wie dumm er sich benommen hatte. In einer Erinnerung beschreibt er eine Begegnung als Kind mit seiner Mutter. Als sie ihre Großmutter in einem Heim besuchte, erkannte ihn eine Bridgepartnerin seiner Mutter, die im Rollstuhl saß und sich Hilfesuchend an seinem Arm festhielt. Sie hatte ihn erkannt und wollte raus dort, sie wollte nicht dort sterben oder verschwinden oder untergehen. Mark Lanegan hatte ebenso die Pete Townshend school of thought, wie er es nennt, bevorzugt: “I hope I die before I get old“.

Mark Lanegan starb am 2.2.22 im Alter von 57 Jahren in seinem Heim in Irland. RIP. May his soul rest in peace.

Mark Lanegan
Devil in a Coma
2021, Hardcover, 160 Seiten, Format 200 x 132mm
ISBN 9781399601849
£12.00
White Rabbit Books

 


Genre: Autobiographie
Illustrated by White Rabbit Books

Alles Dunkel dieser Welt

Alles Dunkel dieser Welt. “Sing backwards and weep” (so der amerikanische Originaltitel) ist ein beklemmendes Geständnis eines Musikers, der die Neunziger mit seiner Band “Screaming Trees” ebenso prägte wie als Solist die heutige Zeit. Seine Kollaborationen mit Kurt Cobain, Pearl Jam, Marianne Faithfull, Moby, Queens of the Stone Age, UNKLE, Greg Dulli, PJ Harvey oder Isobell Campbell sind legendär. Der aus Ellensburg, Washington stammende Musiker lebt heute in Los Angeles.

Autorisierte authentische Autobiographie

“Gott, mach einen anderen Menschen aus mir!” Die Screaming Trees war eine 1985 in Seattle gegründete Band die den sog. Grunge-Sound ebenso mitgestaltete wie prägte. Allerdings blieb die Band um Mark Lanegen und die beiden Conner-Brüder (später kam noch Josh Homme dazu) kommerziell stets unter den Erwartungen zurück. Einzig das in einem mediokren Film über die Seattle-Grunge-Szneen (“Singles“) verwendete “Nearly Lost you” wurde zu ihrem Hit. Aber auch der wurde zum zweischneidigen Schwert: zwar brachte er ihnen Bekanntheit, aber statt ihrem zur selben Zeit erscheinenden AlbumA verkaufte er den Soundtrack des Films. Aber das ist nur eine von vielen Niederlagen, die Mark Lanegan in seinem Leben einstecken musste, wie er selbst entwaffnend und ehrlich wie seine Autobiografie geschrieben ist, zugibt. Als Sohn einer Alkoholikerin, die ihm stets nur Vorhaltungen machte, statt ihn zu lieben, schlitterte er selbst bald in die Drogenszene von Ellensburg. “Mit zwölf war ich ein notorischer Zucker, Jungalkoholiker, Dieb und Pornofan.” Vorerst blieb es zwar bei Gras und Alkohol, aber alsbald landete er bei Heroin und Crack. Ersteres konsumierte er laut eigenen Aussagen aber vor allem, um vom Alkohol loszukommen, denn sein Konsum machte einem gewissen Jim Morrison alle Ehre.

Mit dem Segen von Cash

Aber anders als letzterer, hatte Lanegan stets Geldsorgen und musste sich als Kleinkrimineller betätigen, um seine Süchte finanzieren zu können. Sein Repertoire reichte von einfachem Diebstahl bis hin zu Versicherungsbetrug und Einbruch. Und das alles schon als Minderjähriger. Als Erwachsener betätigte er sich dann lieber als Dealer, damit etwas von dem Stoff auch für ihn abfiel. Nebenbei belieferte er übrigens auch seinen Grunge-Kumpan Kurt Cobain oder sein großes musikalisches Vorbild Jeffrey Lee Pierce von Gunclub, aber auch mal Nick Cave und andere Musikgrößen. Die Erzählungen seiner Drogenkarriere sind schier unglaublich und oft frägt man sich, wie so ein Wrack überhaupt noch auftreten und singen konnte. Aber anders als viele seiner Kollegen der damaligen Ära überlebte Mark Lanegan wider Erwarten und steht heute als einer der gefragtesten Musiker ganz oben auf der Liste internationaler Booking-Agenturen. Denn seine Stimme hat einen Bass und ein Timbre, was selbst einem Johnny Cash Respekt abrollte: “Tut mir leid, dass ich deinen Namen nicht mehr weiß, mein Junge“, sagte Cash einige Zeit nach ihrer ersten Begegnung zu ihm, “aber an deine Stimme erinnere ich mich. Du hast mich fast in den Schatten gestellt bei unseren paar Auftritten“.

Vom Saulus zum Paulus

“Whitey Ford”, “Lucky”, “Old Scratch”, “Red” waren noch einige seiner schmeichelhaftesten Spitznamen mit denen der Rothaarige mit der rauen Stimme von seinen Mit-Junkies bezeichnet wurde. Denn neben seiner Suchtmentalität hatte Mark auch zeitlebens ein Gewaltproblem, das häufig dann auftrat, wenn er keinen Stoff auftreiben konnte. Eine Episode seiner Drogenbeschaffungskriminalität, die in Amsterdam stattfindet, liest sich wie ein Noir aus den Vierzigern, der einem die Gänsehaut aufsteigen lässt. Aber auch sein Verhältnis zum schwachen Geschlecht wird natürlich ausführlich thematisiert. Denn abgesehen davon, dass Lanegen nichts anbrennen ließ, handelte er sich auch allerhand Geschlechtskrankheiten ein. Aber es gab natürlich auch die Liebe in seinem Leben. Abgesehen von Deborah oder Shadow und Maria gab es auch eine gewissen Pattstellung zwischen Selene und Anna, seiner Langzeitbeziehung. Aber auch seine problematische Beziehung zu seiner Mutter, die ausgerechnet eine Dozentin für Elementarpädagogik war, und seiner Schwester wird von Lanegan aufgearbeitet. In seiner Erzählung zum Showdown bei Weihnachtsfest, erinnert Lanegan fast etwas an Raskolnikow, den Protagonisten aus Dostojewskijs “Schuld und Sühne“. Auch Rodion Romanowitsch Raskolnikow wollte die Heirat seiner Schwester verhindern. Wahrscheinlich ist es nur der Musik zu verdanken, dass Lanegan nicht zu einem amerikanischen Raskolnikow wurde. Aber vielleicht trifft das auch auf viele andere Künstler zu.

Ein beeindruckendes Werk, das einem gerade trotz und wegen des ganzen Macho-Shits einen selten empfundenen Eindruck von Authentizität vermittelt. Und vielleicht ist ihm sein in einer Nervenheilanstalt in größter Verzweiflung geäußerte Wunsch in Erfüllung gegangen. “Gott, mach einen anderen Menschen aus mir!” Sein umfangreiches Repertoire seit dem Ende der Screaming Trees im Jahre 2000 und seine vielseitigen Kollaborationen legen ein beeindruckendes Zeugnis davon ab, dass die Wandlung vom Saulus zum Paulus durchaus gelingen kann.

 

Mark Lanegan
Alles Dunkel dieser Welt. Eine Autobiografie
Aus dem Amerikanischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Originaltitel: Sing backwards and weep
Originalverlag: Orion
Hardcover, Pappband, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-453-27344-3
€ 24,00 [D] € 24,70 [A]

Heyne Hardcore


Genre: Autobiographie, Grunge, Heroin, Neunziger, Seattle
Illustrated by Heyne Hardcore