Warum fragt uns denn keiner

Melda Akbas, Warum fragt uns denn keinerIn fast allen Bundesländern sind die Sommerferien zu Ende und das neue Schuljahr hat begonnen. Neues Spiel – neues Glück? Manchmal scheint es so, als wäre Bildung Glückssache und als würde viel zu oft mit den Bildungswegen unserer Kinder gespielt. Deshalb gibt es passend zum Thema Schule eine der in diesem Blog seltenen Sachbuchvorstellungen: Warum fragt uns denn keiner? – Ein Buch von Melda Akbas, Untertitel: Was in der Schule falsch läuft.

Die Autorin ist von Haus aus Berlinerin, dort als Tochter türkischer Eltern geboren und zur Schule gegangen. Mit ihrem noch als Schülerin veröffentlichten Erstling So wie ich will – Mein Leben zwischen Moschee und Minirock war sie 2010 eine der jüngsten Bestseller-Autorinnen überhaupt. In ihrem neuen Buch nun also die umfassende Thematik Bildung. Eine Thematik, die zwar viele in dieser Republik bewegt, die aber allzu oft zum Gegenstand diverser Sonntagsreden verkümmert.

Die heutige Jurastudentin Melda Akbas weiß, wovon sie redet. Bis zum Abitur erlebte sie Unterricht bei insgesamt 51 Lehrern in 15.522 Unterrichtsstunden. Sie war stellvertetende Schulsprecherin und engagierte sich im Landesschülerausschuss. Es sind ihre Erfahrungen und die von vielen anderen Schülern, die sie in ihrem Buch zusammengetragen hat und die sie immer wieder auf eine Kernfrage zurückkommen lassen: Warum fragt denn keiner mal die Schüler? Schließlich sind sie es, für deren Zukunft in der Schule die Weichen gestellt werden. Die Schülersicht auf Unterrichtsgestaltung, Zensuren, Unterrichtsausfälle und den Umgang der Pädagogen mit ihren Schutzbefohlenen ist schon eine ganz andere als die in Sonntagsreden der Politik verkündete, als die Sicht der Schulbehörden und auch der Lehrer. Aber es fragt sie keiner, die Meinung derer, die betroffen sind, wird zu selten noch wahrgenommen, ernst genommen oft erst recht nicht.

Schulpolitik wird in Deutschland traditionell von Behörden, sogenannten Experten und Politikern gemacht. Selbst wenn man ihnen nicht unterstellt, die Interessen der Schüler und der Lehrer zu ignorieren, sie haben auch andere Dinge im Auge zu behalten, die mit Bildung an sich nichts zu tun haben. Entsprechend weit sind die Vorschläge, Maßnahmen und die immer wieder mit heißer Nadel gestrickte Reformen vom Alltagsleben der Schüler entfernt. So nimmt es nicht wunder, dass viele Schüler und Lehrer demotiviert und frustriert sind. Melda Akbas betreibt mit den in ihrem Buch dokumentierten Gesprächen und Berichten Ursachenforschung, die sie in ihrem Hauptkritikpunkt, der mangelnden Schüler-Mitbestimmung bestärkt.

Bei ihren Befragungen kommen Schüler/innen, Lehrer und Bildungsbeauftragte aus verschiedenen Bundesländern und Schulformen zu Wort. Dabei kommt auch dem Thema Integration immer wieder eine große Bedeutung zu. Es ist in Deutschland leider immer noch zu oft ein Tabu, dieses Thema im Klartext anzugehen. Melda Akbas scheut sich da weniger. Sicher gut, dass da mal von einer Autorin klare Worte kommen, die sich auch in der türkischen Gemeinde engagiert. Generell malen die im Buch dokumentierten “Zeugnisse” ein sehr viel klareres Bild vom Zustand der schulischen Bildung in unserem Land, als es sämtliche trockenen und rein theoretischen Berichte je könnten.

Melda Akbas ist dabei sehr bemüht, keine Einseitigkeit aufkommen zu lassen und den verschiedensten Blickwinkeln gerecht zu werden. Diese Vorgehensweise birgt naturgemäß die Gefahr der Schwammigkeit und dieser Gefahr erliegt die Autorin durchaus an manchen Stellen. Vor allem, wenn klar wird, dass es den alleinig selig machenden goldenen Weg wohl nie geben wird und dass einfach nicht alle Vorstellungen unter einen Hut zu bringen sind. Darüberhinaus ist ihre Herangehensweise sehr speziell, sie springt gerne zwischen Thesen und Erlebten hin und her, was dem Buch eine gewisse Unruhe und Unübersichtlichkeit gibt. So manche Lösungsansätze gehen schier unter in der Masse der Informationen. Da ist es gut, dass die Autorin zum Abschluß des Buches noch eine Sammlung ihrer Änderungsvorschläge dem Buch hintenanstellt.

Natürlich muss man auch sagen: Vieles von dem, was Melda Akbas fordert, gibt es schon. Viele Schulen bemühen sich sehr, Schüler mit einzubeziehen und die Schülervertretungen in ihrer Arbeit zu unterstützen, zu bilden und zu stärken. Doch bei allen Bemühungen bleibt dafür einfach nicht genug Zeit, da immer neue unausgegorene Reformen den Schulalltag erheblich erschweren. Man hat in der Tat den Eindruck, dass Schülerbeteiligung von “oben” zu oft belächelt und als unwichtig abgetan wird. Unterstützung erfahren die in dieser Sache Engagierten definitiv nicht.

Warum fragt uns denn keiner ist mit viel Herzblut, viel Engagement und persönlicher Betroffenheit geschrieben, das macht es glaubwürdig. Es bleibt das ungute Gefühl, welches beim Thema Bildung immer mitschwingt. Denjenigen, die dazu wirklich etwas zu sagen haben, wird nicht zugehört. Könnte ja ein Ende der ach so bequemen Flickschustereien bedeuten. Das Buch bietet gute Einblicke, die viele Beteiligte sicher bestätigen können. Es wäre wünschenswert, dass diesem Buch Aufmerksamkeit von richtiger Stelle geschenkt wird. Auch wenn man sich manche Lösungsvorschläge konkreter erhofft hätte: Warum fragt uns denn keiner ist eine wirklich gute Diskussionsgrundlage

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Erfahrungen
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