John Fante steht als einer der Außenseiter unter den amerikanischen Schriftstellern für eine packende, direkte Sprache, die seiner eigenen Lebenserfahrung und -wirklichkeit entspricht. Insofern war es folgerichtig, dass Autoren wie Charles Bukowski und Jörg Fauser ihn zum Vorbild nahmen.
Der Sammelband „Arturo Bandini“ besteht aus drei einzelnen Romanen. Die Übersetzung von Alex Capus beweist das faszinierende Talent Fantes, die eigene Geschichte in Worte zu fassen und zu erzählen.
Warte bis zum Frühling, Bandini
Familie Bandini ist aus Italien in die USA eingewandert. Familienoberhaupt Svevo Bandini schafft als Maurer, kann jedoch aufgrund der winterlichen Fröste nur in der wärmeren Saison arbeiten. In den Wintermonaten hängt er mit seinem Freund Rocco ab, säuft und verschleudert die wenigen Cents, die er besitzt, in der verzweifelten Hoffnung auf Gewinn am Spieltisch.
Seine bettelarme Familie friert derzeit daheim und muss bei unwilligen Kaufleuten Nahrungsmittel auf Kredit schnorren. Ihre Schulden sind turmhoch, und auch das Haus ist längst nicht bezahlt. Da hilft es wenig, wenn ab und zu die wohlhabende Großmutter vorbeikommt, ein paar Dollar hinterlässt, viel meckert und ihren Schwiegersohn verflucht, den »Abruzzenhund«.
Als eines kalten Tages eine steinreiche Witwe Meister Bandini einstellt, um einen Kamin in ihrer Wohnung reparieren zu lassen, kommt der Gastarbeiter erstmals in unmittelbaren Kontakt mit den Reichen und Mächtigen. Ehrfürchtig und fasziniert beäugt der Maurer seine Auftraggeberin. Als sie ihn eines Abends in ihr Bett zitiert, folgt er ihr geradezu schüchtern. Doch schon bald geht er im Haus der reichen Lady durch den Dienstboteneingang ein und aus, verschwindet folgsam, wenn Gäste kommen und ist dann nachts wieder zur Stelle, um den Bullen zu reiten. Da ist nichts außer Gier und Lust, und er schafft es nicht, den Vorhang ihres Reichtums, der ihm die Sicht versperrt, wegzureißen. In ihrer Anwesenheit verschlägt es ihm stets die Sprache.
Mutter Bandini hofft derweil in frommer Fürbitte auf eine Besserung des harten Loses der Familie und betet Tag und Nacht zur Gottesmutter Maria. Ihre Tränen benetzen den Rosenkranz, der unaufhörlich durch ihre Finger perlt. Sie ignoriert Anspielungen auf das Verhalten ihres Mannes und redet sich ein, dass er rechtzeitig zu Weihnachten wiederauftaucht. Dies geschieht tatsächlich, großspurig wirft der Vater Geldscheine auf den Tisch. In wilder Wut zerkratzt die Mutter ihm jedoch das Gesicht und wirft das dringend benötigte Geld angewidert ins Feuer.
Der vierzehnjährige Arturo, ältester der drei Söhne der Familie Bandini, bewundert den Vater einerseits für dessen Draufgängertum und sein gutes Leben bei der Witwe. Auf der anderen Seite ist der sommersprossige Knabe voller Mitgefühl für die Mutter und hofft, dass sich alles wieder einrenkt. Er selbst hängt dem großen Traum vom eigenen Aufstieg in die Oberklasse an, wo es immer genug zu essen, behaglich beheizte Häuser, schicke Automobile und messerscharfe Frauen gibt.
Es ist der typische Traum des Habenichts, der in ein anderes Land auswandert, um dort einen Platz zu finden, der ihm das Überleben ermöglicht. Dabei spürt der Junge, dass er als Ausländer stets ein Mensch zweiter Klasse bleibt. John Fante wußte aus eigenem Erleben, worüber er schreibt, wenn er sein Alter Ego Arturo Bandini agieren lässt.
So dicht und unmittelbar kann nur jemand schreiben, der Hunger gelitten hat, der diskriminiert wurde, der vom Aufstieg geträumt hat und dessen Illusionen zerschlagen wurden. Fantes Schreibe geht unter die Haut und unmittelbar in die Blutbahn.
Kurzfristig jedoch träumt Arturo erst einmal vom nächsten Frühling, der dem Vater wieder Arbeit beschert und vielleicht alles anders werden lässt. Damit erklärt sich auch der Titel des ersten Bandes der Trilogie, „Warte bis zum Frühling, Bandini“.
Frag den Staub
Was ist nur aus dir geworden, Arturo Bandini? Kaum hast du die Kindheit verlassen, die so kriechend langsam verging, schon bist du ein berühmter Schriftsteller! Du rauchst eine schicke italienische Bruyèrepfeife, trägst einen silbernen Gehstock und steigst aus einem großen, schwarzen Auto. An deinem Arm blickt eine Dame im Silberfuchs stolz zu dir auf. Ihr trinkt Cocktails, tanzt ein paar Takte, du rezitierst einige Zeilen Sanskrit. Alle zwei Minuten macht eine Schönheit dir, dem großen Autor, schöne Augen und besteht darauf, dass du ihre Speisekarte signierst. Das Silberfuchsmädchen reagiert eifersüchtig …
Armer, Bandini, du bist ein Träumer. Deine Zimmerwirtin schiebt dir Zettel zu, mit denen sie die offenen Mieten anmahnt. Als deine Mutter dir zehn Dollar schickt, die sie aus der Auflösung einer Versicherung erhielt, schenkst du das Geld einem mexikanischen Freudenmädchen, von dem du dann wieder fliehst, weil dich deine katholische Erziehung unfähig gemacht hat, zu „sündigen“. Jetzt bist du schon dreißig und hast immer noch kein Mädchen geküsst, du armseliger Schlappschwanz!
„Frag den Staub“, der zweite Roman der Trilogie, dürfte John Fantes bekanntestes Werk sein und gilt als »roman à clef«, als Schlüsselroman.
Wir schreiben 1939, das Jahr der großen Depression. Arturo Bandini hat seinen Traum verwirklicht und sich als Schriftsteller selbstständig gemacht. Doch in den Bibliotheken sucht er in den Regalen unter „B“ vergeblich seinen Namen. Ihm fällt nichts ein, er sucht nach der großen Idee für einen Roman.
Noch unmittelbarer als im ersten Band und diesmal als Ich-Erzähler schildert Arturo Bandini, das Alter Ego des Verfassers, sein erbärmliches Leben zwischen Hoffen und Warten, zwischen der Unfähigkeit, auch nur einen vernünftigen Satz zu Papier zu bringen und der Sehnsucht nach Erfolg. Einmal wird eine Geschichte von ihm in einem Magazin veröffentlicht, die ihm die Anerkennung der anderen Hausbewohner und seiner Zimmerwirtin einbringt. Doch davon kann er weder Miete noch Brot bezahlen, und die Mädchen, von denen er träumt, erst recht nicht.
Verzweifelt tippt der Ein-Geschichten-Autor seitenlange Briefe an den Verleger seines Erstlingswerkes. Dessen würdiges Porträt hängt an der Wand seines armseligen Zimmers, aus dem selbst Arturos einziger Freund Pedro, die Maus, stiften ging, weil es nichts zu futtern gibt. Bandini pafft groben, in Klopapier gerollten Tabak, sättigt sich mit bitteren Orangen und trinkt Milch, die er stiehlt. Sein Leben ist ein Desaster.
Unerwartet trudelt Post ein. Der Herr Verleger fand den letzten an ihn gerichteten zwanzigseitigen Brief so gut, dass er die Grußformeln wegstreicht und den Text als eigene Geschichte drucken will. Er legt seinem Schreiben einen fetten Scheck bei. Wow! Was für eine Wende!
Nun hat Bandini bereits zwei Texte veröffentlicht. Überglücklich und generös zahlt er seine Schulden und nähert sich sogar in einem billigen Café einer Bedienerin, die mit ihm ausgeht. Erneut versagt auch hier sein Mut: Als sie intim werden will, läuft er wieder davon und versteckt sich in seinem Zimmer. Die katholische Schamhaftigkeitslehre macht ihm erneut einen fetten Strich durch die Rechnung.
Mit frischem Geld in der Tasche macht er sich auf die Suche nach Camilla, einer früheren Freundin, für die er sich verantwortlich fühlt. Er findet sie völlig verwahrlost vor, sie wird in eine Nervenklinik eingewiesen, entkommt, Bandini hinterher. Letztlich verschwindet sie im Nichts.
Bandini hat ihr sein Buch mitgebracht und gewidmet. Nun schleudert er es in die Wüste, die er durchquert. Er hat mit ihr abgeschlossen und sie symbolisch aus seinem Leben entlassen.
Warten auf Wunder
Auf neue Art erzählt Bandini von seinen ersten Gehversuchen im Verlagswesen. Seine erste Geschichte wurde von einer Zeitschrift veröffentlicht, nun glaubt er an den Aufschwung zum Schriftsteller. Doch die erste Erfahrung ist bitter. Er soll für einen schmierigen Literaturagenten grauenhafte Manuskripte lektorieren. Er streicht »Leidenschaft im Morgengrauen« einer Autorin namens Jennifer Lovelace auf die Hälfte zusammen und macht sie so halbwegs lesbar. Sein neuer Chef weiß: »Je schlechter der Kram, desto mehr Geld liegt drin«.
Doch die reiche und hinreißend gut aussehende Autorin ist entsetzt, dass ihr gutes Manuskript derart zusammengestrichen und »entstellt« wurde. Bandini will sich persönlich bei ihr entschuldigen, besucht sie in ihrer Villa in Santa Monica, tischt ihr Lügen auf und versucht, sie an sich zu ziehen. Die Szene endet, indem sie ihm eine Salatschüssel mit frisch angemachten Grünpflanzen über den Kopf stülpt und die Majonäse an ihm heruntertropft. Bandini hat einfach kein Glück mit Frauen und ist mangels Erfahrung auch viel zu plump und tölpelhaft.
Durch Zufall landet er bei einem Filmproduzenten, der ihn fürs Nichtstun bezahlt. Er streicht fette Schecks ein, kauft sich einen Plymouth und gewöhnt sich an das gute Leben in Hollywood. Voller Begeisterung stürzt er sich auf bekannte Schriftsteller wie Sinclair Lewis, die aber nicht auf seine Bekanntschaft erpicht sind.
Er erinnert sich an seine Kindheit, als er die Schule schmiss und zum stadtbekannten Taugenichts wurde, der sich mit Fensterputzen und Unkrautjäten über Wasser hielt. Eines Tages kommt er in der Bibliothek vorbei und entdeckt die Welt der Bücher, die ihn gefangen nimmt und nicht mehr los lässt.
Mit dem Geld, das er nun verdient, kann er seine bettelarme Mutter unterstützen und ihre Rechnungen bezahlen. Er trennt sich auch von seiner Zimmerwirtin, mit der ihn ein unbefriedigendes Verhältnis verband. Mit Frauen kennt Bandini sich nicht aus.
Das ändert sich auch nicht, als er auf Jobssuche nach Hollywood kommt. Naiv und staunend erlebt Bandini die Illusionsfabrik von innen. Das Schicksal und sein eigenes Drängen, endlich mit dem Schreiben anfangen zu dürfen, beschert ihm eine schwerreiche Dame, Velda van Zeen.
Dieser Ausgeburt von Hollywood-Tratsche, die mit berühmten Namen um sich wirft, und deren Träger tatsächlich zu kennen scheint, ist der vollkommen unbedarfte Bandini hoffnungslos unterlegen. Sanft fällt er im Sturzbach der Namen in süßen Schlummer und träumt von einer splitternackten Velda, die ihn peitschenknallend verfolgt.
Die Qualität des John Fante
Allein mit dieser kleinen Velda-Episode lässt sich anschaulich die Kraft und Bildhaftigkeit von John Fante zeigen. Fante ist ein Meister des Dialoges, dessen Wesensmerkmal es ist, die unterschiedlichen Figuren aus ihren jeweiligen Lebensprofilen so in Sprache zu übersetzen, dass eine Figur mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vor dem geistigen Auge entsteht.
John Fante hat aber auch ein geschicktes Händchen beim Aufbau seiner Erzählungen. Aufmerksamkeit sollte man den Nebenwegen, in denen er sich scheinbar verliert, schenken. Die baut der Autor elegant verpackt ein, weil sie letztlich doch zum Gesamtbild zählen. Lesen Sie den Plot zum Western „Sin City“, den er mit geradezu innerem Ekel zitiert, oder die prächtige Geschichte vom Herzog von Sardinien, dem zähen und eigensinnigen Catcher, den er begleitet.
Die Aufmerksamkeit des Lesers wird mit diesen Nebenschauplätzen, in denen ein Fülle von Information über die Figuren enthalten sind, wesentlich erhöht und sein Lesegenuss kräftig gesteigert. (Ein solches Ziel sollte eigentlich jeder Autor haben, der mehr schreiben will als geist- und gestaltlosen Trash. Aber die Realität am Bücherhimmel spricht eine ganz andere Sprache.)
Als Einstieg empfehle ich den dritten Band der Trilogie, „Warten auf Wunder“. Beginnt dieser mit einer scheinbar willkürlichen Aneinanderreihung von biographischen Episoden und Geschichten, so thematisiert das Buch tatsächlich Bandinis schwierige Beziehung zu Mrs. Helen Brownell, der ältlichen Zimmerwirtin. Auch das ist ein geschickter Fante-Trick, den Leser in die Hauptsache zu ziehen, die sich ihm jedoch erst durch vor- und nachgeschaltete Nebenschauplätze vollständig erschließt.
Die Lektüre von Fantes Trilogie „Arturo Bandini“ möchte ich denjenigen ans Herz legen, die sich einen brillanten und immer noch weitgehend unbekannten Autor erschließen wollen, der nachdrücklich Wert auf Sprache und Stil legt.
Kommt dann noch ein mögliches Interesse hinzu an den Lebenswelten eines Autors, der ums nackte Überleben schreibt, dann ist die Übereinstimmung perfekt.
Parallelen ließen sich für den literarisch Interessierten übrigens auch zu „Hunger“ von Knut Hamsun ziehen, der ebenfalls Träume und Sehnsüchte eines erfolglosen Schriftstellers schildert.
Lass dir die Rezension vom Autor vorlesen:
Nachtrag
Myriam Brotschi Aguiar, eine Leserin aus der Schweiz, machte mich freundlicherweise auf ein Video von der Gruppe »Züri West« aufmerksam, das »Arturo Baldini« thematisiert.
Myriam hat sogar eine Rohübersetzung des Songtexten geliefert: Es ist spät an einem Donnerstag Abend, aber gespielt wird nichts. Ich sitze in der Küche am Tisch, wo sie ist, weiss ich nicht. Der Bandini liegt auf dem Tisch und zerlesen wie er ist, er ist der Einzige, der mich tröstet in so einer blauen Nacht wie heute. Knapp 32 Seiten der Story hatten sie es schön zusammen und ganz am Schluss hätten sich die Dinge beinahe eingerenkt, danach hat sie ihn verlassen. 223 Seiten minus 32 sind sie am Streiten, dann sagt sie endlich, jetzt weiss ich: du bist es. Aber dann ist sie leider nicht mehr da. Das ist ein guter Schluss für ein Buch, genau so muss es sein. Eine Fahrt zurück nach Los Angeles und ich sitze immer noch hier. Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Der Bandini liegt auf dem Tisch. Ich weiss genau, er kann sie vergessen. Ich weiss genau, dieses Mal ziehen wir den Kürzeren (luege mir i), der Arturo Bandini und ich.
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Danke für den Tipp, Rupi! Ich brauche nächste Woche Lesestoff, und das hört sich gut an. Eine Frage nur. Was meinst du mit:
„… um den Bullen zu reiten“?
Ein Wortspiel, lieber Johannes. Bullenreiten gilt als eine der ältesten und schwierigsten Sportarten der Menschheit. Hier wird es im übertragenen Sinne verwendet und meint die reiche Lady, die zum Abend bestiegen werden will.