Das 2019 ebenfalls bei Rowohlt erschienene Werk „Der Boxer“ zeigte Twardochs Protagonisten, Jakub Shapiro, am Höhepunkt seines Lebens und Wirkens. In „Das schwarze Königreich“, der Fortsetzung, ist er nur mehr ein Schatten seiner selbst und auf fremde Hilfe angewiesen.
Das schwarze Königreich des Jakub Shapiro
„Aus Zorn und Hass ist mein Lebenswille gewebt, Zorn und Hass sind schwer und nicht leicht zu tragen, doch mitnehmen muss man sie, denn ohne sie endet man vorzeitig dort, wo ohnehin alle enden.“ Der einstige „König der Warschauer Unterwelt“ muss zusehen wie nicht nur sein Reich zerfällt, sondern auch das Warschau, das er kannte. Die deutsche Besatzung Polens 1939, die Warschauer Aufstände, das Ghetto sind die Echokammern eines Romans, der nicht nur intelligent gebaut ist, sondern auch den Leser in einen Strudel hinabreißt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Twardoch erzählt den vorliegenden 2020 erstmals bei Rowohlt auf Deutsch erschienen Roman aus zwei Perspektiven, die er immer wieder wechselt. Der halbwüchsige Sohn David, der sich nach der Trennung seiner Mutter Emilia von seinem Vater Jakub um seinen Bruder Daniel und seine Mutter kümmert ist die eine Stimme des Romans. Die andere Stimme des Romans ist Ryfka, die einst ein Bordell leitete, wo Jakub in seinen besseren Zeiten Stammgast war. Sie liebt ihn so sehr, dass sie sich auch um den kranken Mann kümmert, der er jetzt geworden ist. Ihr Zorn und ihr Hass sind es, die das gemeinsame Überleben sichern.
Überleben als Rache und Sühne
Auffallend am Stil dieses Romans ist aber auch die Konzeption. Die Tempuswechsel in der Erzählung von Ryfka Kij, die stets zwischen Präsens und Präteritum wechselt, charakterisieren die Brisanz ihres Narrativs. Denn sie ist noch am Leben und nur deswegen kann sie all die Schrecken und den Terror des Krieges uns Nachgeborenen schildern. Sie war dabei und hat überlebt. An der Seite eines „bösen Mannes“, der nicht nur seine Frau und die Zwillinge enttäuschte. „Auf diese Art kann ich ihn bestrafen, indem ich ihn am Leben halte, so kann ich mich selbst strafen, und nur so kann ich auch weiter lieben. Die Liebe zu diesem bösen Mann ist alles, was mir geblieben ist.“ Szczepan Twardoch, Jahrgang 1979, erzählt von Juden, Polen, Deutschen, von Tätern und Opfern, Kollaboration und Terror und macht auch vor den Sowjets nicht halt. Denn von diesen von Hitlers Wehrmacht befreit zu werden ist wahrlich kein einfaches Schicksal. Twardoch erzählt nämlich auch vom Holodomor, der Hungerkatastrophe, die durch Stalins Zwangskollektivierung Millionen Opfer nicht nur in der Ukraine forderte. „Der Krieg wird irgendwann zu Ende sein, und die Deutschen werden ihn verlieren, dann wird es gut sein, ans Licht zu kommen und wieder Mensch zu sein.“
Ein erschütternder und auch trauriger Roman, der dennoch Hoffnung macht, weil er zeigt, dass man trotz der vielen Opfer überleben kann und muss. Um diese und andere Geschichten zu erzählen und Sühne zu verlangen.
Szczepan Twardoch
Das schwarze Königreich
Übersetzt von: Olaf Kühl
2020, Hardcover, 416 Seiten
ISBN: 978-3-7371-0073-1
24,00 €
Verlag: Rowohlt Berlin