Sag nicht, dass du Angst hast

»Samia Yusu91MRpPsRdgL._SL1500_f Omar, Leichtathletin.
Geboren am 25. März 1991, Mogadischu, Somalia; gestorben am 19. August 2012, im Mittelmeer
Größe 1,63 m, Gewicht 54 kg«

Hinter diesen kurzen Anmerkungen bei Wikipedia verbirgt sich ein Drama, das wie ein Spiegelbild zur aktuellen Diskussion um die Flüchtlinge passt. Aber ich will nicht politisch werden, mir geht es um das Buch.
Der Titel des Buches ‘Sag nicht, dass du Angst hast’ drückt eindrucksvoll aus, was für ein Mensch Samia war, von welch unglaublichem Durchhaltewillen geprägt.

Samia wollte ihre Heimat bei den Olympischen Spielen vertreten und das erreichte sie auch. Bei der Olympiade 2008 in Peking trug sie die Flagge Somalias beim Einmarsch der Teilnehmer. Beim 200-Meter Lauf ging sie weit abgeschlagen als letzte Läuferin durch das Ziel. Trotzdem: Wenn jemals der Spruch “dabei sein ist alles” eine Berechtigung hatte, dann war es Samias Lauf.

Dafür muss man wissen, wie sie trainierte, wie sie sich auf Wettkämpfe vorbereitete. Nachts am Strand, trotz Ausgangssperre und der permanenten Gefahr, marodierenden Soldaten in die Hände zu fallen, denn Somalia ist seit Jahrzehnten von Bürgerkriegen geschüttelt. In einem islamisch geprägten Land treibt eine Frau Sport? Das geht nur im Verborgenen, höchstens bei Mondlicht.

Die Mutter ist Gemüsehändlerin, Straßenverkäuferin, womit hinreichend beschrieben ist, wie die Familie lebt – von Gemüse und der Hand im Mund. Der Vater ist tot, umgekommen bei einem der vielen Straßenkämpfe.

Die Behörden stellen ihr keine korrekten Reisepapiere aus, sie wollen ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London verhindern. Samia fasst einen folgenschweren Entschluss. Sie will illegal nach Europa, wenn es anders nicht möglich ist. Sie macht sich auf den Weg – wie viele Afrikaner heute.

Der Autor Guiseppe Catozzella schafft es meisterhaft, das Leben der notleidenden Bevölkerung Somalias zu beschreiben. Wobei er – vielleicht unabsichtlich – die aktuelle Not vieler Afrikaner beschreibt. Er erzählt, wie man in einem über Jahrzehnte von Bürgerkriegen geschüttelten Land lebt, wie man zusammengepfercht wie auf einem Viehtransport auf der Ladefläche eines Lkws durch die Sahelzone und dann durch die Libysche Wüste an die Mittelmeerküste gelangt. Menschen fallen entkräftet von der Ladefläche, bleiben dem Tod überlassen am Wegrand liegen. Auf dem langen Weg sind Zwischenstationen eingerichtet, Mautstellen, wo die Schlepper zusätzliches Reisegeld kassieren, dass von den Angehörigen auf verschlungenen Wegen geschickt wird. Erst wenn gezahlt wird, geht die Reise weiter. Kommt kein Geld, ist der Hungertod gewiss.

An der libyschen Küste warten ausrangierte Fischerkähne und löchrige Schlauchboote, die ruhige See, keinesfalls Wind und höheren Wellengang überstehen. Gezahlt wird vorher und schaffen es die Boote wegen schlechter Wetterbedingungen gerade aus der Drei-Meilen-Zone und müssen umkehren, muss für den nächsten Versuch neue Passage bezahlt werden.

Das Buch geht wahrlich unter die Haut. Ich habe es an einem langen Abend gelesen, konnte es nicht aus der Hand legen. Es ist wohltuend unpolitisch, keine Anklage, die eindrucksvolle Beschreibung des kurzen Lebens einer tapferen jungen Frau.

Wer verstehen will – und jetzt werde ich doch etwas politisch – was die Afrikaner auf die lange Reise nach Europa treibt, wer erleben will, wie sich Flucht durch die Wüste anfühlt, der sollte dieses Buch lesen. Man begreift auch, dass wir nur einen verschwindend geringen Teil der Toten sehen, wenn in den Zeitungen steht, man habe gerade wieder fünfzig oder mehr Ertrunkene aus dem Mittelmeer gefischt. Das sind nur die Leichen, die bei uns angeschwemmt werden. Die vielen Toten über tausende Kilometer in den Wüsten und Halbwüsten Afrikas sehen wir nicht.

Samia Yusuf Omar hat es durch die Wüste geschafft, sie hat das Mittelmeer überquert, um dann eine Rettungsleine um eine Handbreit zu verpassen und im Mittelmeer zu ertrinken. Sie wurde 21 Jahre alt.


Genre: Biographien, Tatsachenroman, Thriller
Illustrated by Albrecht Knaus Verlag

3 Gedanken zu „Sag nicht, dass du Angst hast

  1. Sicher ein wichtiger Buch – gerade in der heutigen aufgeheizten Diskussion. Wahrscheinlich hilft nur, die Menschen hinter den dürren Nachrichten zu zeigen, um die Diskussion von Stereotypen wegzulenken. Wobei – wahrscheinlich ein frommer Wunsch. Ich wünsche diesem Buch jedenfalls viele Leser.

    Und – willkommen in der Literaturzeitschrift

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