
Venedig unterm Doppeladler
Venedig unterm Doppeladler. San Geminiano, das harmonische Gegenstück der Renaissance zur byzantinischen Opulenz der Basilika von San Marco, musste den Plänen eines machthungrigen Potentaten weichen: Napoleon plante einen Ballsaal an der Stelle der 1000-jährigen Kirche und ließ sie kurzerhand abreißen. Auch das erinnert an die Gegenwart, in der wir glaubten die Tyrannen der Welt bereits abgeschüttelt zu haben.
Von Napoleons Gnaden
Einer dieser Tyrannen war Napoleon, zumindest wenn man den Ausführungen Werner Stanzls Glauben schenken darf. Aber ohne Napoleon wäre Venedig wohl niemals zu Österreich gekommen. Und genau davon handelt diese reich bebilderte Geschichte, mit Quellenangaben, Fotos, zeitgenössischen Gemälden uvam. Auch eine Reihe weiterer wichtiger Kirchen und Bürgerhäuser mussten den ehrgeizigen Plänen des kaiserlichen Banausen und Emporkömmlings in Venedig weichen. Napoleon ließ nämlich einen Park erbauen, da wo sich heute die Giardini befinden. Neben den baulichen Veränderungen verlangte der Kaiser der Franzosen aber auch Kriegsreparationen: Zahlung von drei Millionen Turineser-Lire (520 Millionen Euro) an die Armee, Übergabe der Schifssausrüstungen im Wert von weiteren drei Millionen, zwei Fregatten, vier Linienschiffe und die Übernahme der Stationierungskosten. Neben einer Reihe von Gemälden von Paolo Veronese und Gentile Bellini sowie weiterer unschätzbarer Kunstgegenstände, die Napoleon in den Louvre entführte, stahl er auch noch die Pferde von San Marco, die Quadriga, das Symbol des Römischen Imperiums, das die Venezianer selbst in Konstantinopel (Istanbul) gestohlen hatten.
Venedig und Lombardo-Venetien
Der bejubelte Einstand der Österreicher, die 1815 die Quadriga aus dem besiegten Frankreich wieder in das von ihnen besetzte Venedig zurückbrachten, schrieb Geschichte. Dennoch waren die Österreicher nicht minder beliebt wie die plündernden Franzosen, die Österreich gerade einmal “den Rest” von Venedig überlassen hatten. Österreichs Kaiser Franz I. stand ohnehin nicht nur in Venedig vor einem Trümmerhaufen. Einer dieser vielen Trümmerhaufen war auch eine überlebensgroße Statue Napoleons am prominenten Markusplatz Venedigs, Piazza San Marco, die ihn als Athleten nach der Dusche mit ausgestrecktem rechten Arm zeigte, ganz so als würde er prüfen ob es regnet. Die Eilands abgerissene Statue war den Venezianern selbst “raganella” (Wetterfrosch) getauft worden. Um die darniederliegende venezianische Wirtschaft zu einem Aufschwung zu verhelfen und Investoren anzulocken, erklärte Kaiser Franz I. Venedig zum Freihafen, aber die “Beibehaltung der Verbrauchssteuer für einige Güter des Grundbedarfs und die Monopolgüter Salz und Tabak dämpfte bald die ursprüngliche “Begeisterung” der Venezianer. Auch die Einführung der Stockhiebe mittels Schlagstock zur Erpressung von Geständnissen Beschuldigter stieß verständlicherweise auf wenig Gegenliebe.
Venedig: Ein Versäumnis
Zudem erfuhr die versprochene Beendigung der Zwangsrekrutierung (unter Napoleon waren 27.000 Venezianer im Russlandfeldzug umgekommen) eine Reformierung: 3000 Soldaten verlangte der Kaiser nun doch vom “Veneto”. Auch dass Mailand und nicht Venedig – jahrhundertelang der Nabel der Welt – zur Hauptstadt der kaiserlichen Provinz Lombardo-Venetien ernannt wurde, erzürnte die Venezianer aufs Äußerste. Der gelernte Journalist und Dokumentarfilmer Werner Stanzl zeigt die sieben Jahrzehnte österreichischer Herrschaft in Venedig vor allem als Versäumnis. Nach der versuchten Revolution von 1848 wurde unter dem 19-jährigen Kaiser Franz Josef alles noch viel schlimmer: er gebärdete sich als War Lord und ließ Feldmarschall Radetzky alles niederkartätschen. Durch die Niederlage gegen Preußen und das Risorgimento ging Venedig dann an das Königreich Italien – als exterritoriales Gebiet.
Werner Stanzl
Venedig unterm Doppeladler.
Zwischen Arrangement und Kolonialismus
2024, Hardcover, 1. Auflage, 272 Seiten
ISBN: 978-3-99103-022-5
KRAL Verlag
39,90 EUR